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Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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wecken, notfalls mit Krach.

    Gegen Versteinerungen gibt es nur ein schnellwirkendes Mittel: Dynamit!

    (Handelte es sich bei diesen Sätzen um Zitate oder um selbstformulierte Ansichten Wenstrups?)

    Am 21. Februar erreichte die Patrouille den Oranje bei Ramansdrift. Gottschalk war enttäuscht. Eine schmutzigbraune Brühe schob sich langsam vorbei, zerteilt von einigen Schotterinseln. Am Ufer erhoben sich nackte Felsen. Im Flußbett weiße runde Steine, wie gewaltige Urwelteier. Auf der englischen Seite war ein kleines Steinhaus zu erkennen, auf dem der Union Jack wehte: die Station der englischen Grenzpolizei. Über diese Furt kam der Nachschub für die Südabteilung, aber auch Gewehre und Munition für die Aufständischen. Der Waffenhandel blühte.
    Die Patrouille ritt flußaufwärts. Am späten Nachmittag entdeckte die Spitze eine Gestalt, die gebückt durch die Dornenbüsche davonrannte. Offenbar versuchte sie, den Fluß zu erreichen. Leutnant Wolf schickte zwei Reiter hinterher, die kurz darauf mit einem am Kopf blutenden Hottentotten zurückkamen. Da der Mann keine Aussagen über Morris und seine Leute machen konnte oder wollte, ließ Wolf ihn erschießen. Danach bog die Patrouille vom Fluß ab und ritt in Richtung Warmbad zurück.

    Tagebucheintragung Gottschalks vom 21. 2. 05
    Gegen Mitternacht gelangen wir an die Ruinen der Farm von Hartmann bei Skunbergs Quelle. Hier senkt sich die Pad in ein Flußbett hinab. Ein eisiger Luftzug empfängt uns. Eisig empfunden nach der Glut des Tages und der warmen Luft der Hochfläche. Wir sitzen ab, ein Griff nach dem Karabinerhaken läßt das Pelhamgebiß aus dem Pferdemaul gleiten. Ein Reiter steigt in das zwei Meter tiefe Kalkloch hinab und reicht die vollen Wassereimer herauf. Ich halte mit drei anderen Reitern die durstig herandrängenden Pferde zurück.
    Endlich sind alle Pferde satt getränkt. Nach einer guten Stunde sitzen wir wieder auf und folgen der Pad, die bald wieder das hohe Westufer gewinnt. Man kann meilenweit um sich blicken. Tiefe Stille ringsum. Und wenn nicht ab und zu der Schrei eines aufgestöberten Huhnes oder der Ruf eines Raubtiers den stillen Raum durchhallte, könnte man glauben, durch eine längst erstorbene Welt zu reiten.

    Erst am übernächsten Tag erschrak Gottschalk. Er erschrak über sich. Er saß auf einer Kiste vor einem Tisch, auf dem eine Spiegelscherbe gegen eine leere Weinflasche gelehnt stand. Gottschalk hatte sich rasiert. Er sah die glattrasierten Wangen, die Haut war noch gerötet von der Rasierklinge. Ein Fremder starrte ihn aus der Spiegelscherbe an. Die Patrouille war unbehelligt nach Warmbad zurückgekommen. Er hatte sich sogleich auf die Pritsche gelegt und bis in den nächsten Nachmittag hinein durchgeschlafen. Danach hatte er Wasser getrunken, etwas gegessen und sich dann rasiert.
    Plötzlich war ihm wieder dieser Mann eingefallen, an den er nicht mehr gedacht hatte, seit er gebückt durch die Dornenbüsche gehetzt worden war, den sie dann niedergeschlagen, befragt und schließlich erschossen hatten. Gottschalk entsann sich, daß er währenddessen lediglich auf die umliegenden Hügel gestarrt hatte, ängstlich darauf wartend, daß jeden Augenblick hinter Büschen und Steinen Gewehrfeuer losbrechen könnte.
    Er sah sein Pferd getroffen zusammenbrechen, sich selbst gerade noch aus dem Sattel schwingen, den Karabiner aus dem Gewehrschuh reißen und hinter einen Felsbrocken in Deckung springen, während von allen Seiten dunkle, zerlumpte Gestalten näher huschten.
    Es hatte aber keinen Hinterhalt gegeben.
    Der Mann war erschossen worden, und er hatte nur gedacht: Hoffentlich hört das niemand.
    Was ist in dich gefahren, dachte Gottschalk, noch immer in die Spiegelscherbe starrend. An seinen Ohrläppchen hing getrockneter Rasierschaum. Vielleicht waren es diese unsinnigen Grimassen, die er zog, während er sich die Bartstoppeln von Oberlippe, Kinn und Hals schabte, die ihn sich selbst plötzlich so fremd erscheinen ließen, obwohl er diese Grimassen doch jeden Tag ziehen mußte. Es war dieses kühle Gefühl der Fremdheit, die dann alles in ein klares, helles Licht tauchte: Sein Erschrecken über die Fühllosigkeit, wenn er an das Geschehene dachte. Ein Entsetzen über dieses fehlende Entsetzen. Eine Gleichgültigkeit, die keine Gleichgültigkeit sein durfte. Während er zum Pferdekraal hinüberging, dachte er immer wieder: Man muß etwas tun. Dabei fiel ihm auf, daß er, dachte er an sich, immer wie von einem anderen dachte,

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