Morenga
halten. Petrus rülpste.
Nachts saßen sie vor dem Zelt. Ein Südost hatte die Wolken vertrieben. Der Mond sah aus wie ein Harzerroller, den Gorth so gern als Kind gegessen hatte. Er rauchte seine Pfeife und übte sich wieder im Zungenschnalzen. Seine Stirn glühte. Gern hätte er Äpfel daraufgelegt. Ein Heiligabend ohne Bratäpfel ist eigentlich kein Heiligabend. Schwarz stand der Halbmensch im Mondlicht wie der Gekreuzigte.
Am ersten Weihnachtstag zogen sie weiter. Gorth war zunächst wie immer vorangeschritten. Die Sonne ließ die Steine ächzen. Als Petrus die Ochsen zur Mittagsrast halten ließ, ging Gorth weit hinter dem Wagen. Am nächsten Tag saß er auf dem Kutschbock neben Petrus. Lukas wollte Gorth einen Kräutertee gegen das Fieber bereiten. Aber Gorth lehnte ab.
Am Neujahrstag konnte er nicht mehr aufrecht sitzen. Petrus bereitete auf den Kisten im Wagen, neben dem Klavier und den Schweinen, ein Deckenlager.
Am dritten Tag im Januar, abends, begann Gorth zu phantasieren. Er redete laut und gut verständlich: Warum haben die Ochsen keinen Platz im Himmel. Haben nicht Ochs und Esel an der Krippe des Christkinds gestanden? Wer hat sie überlistet? Bislang habe ich Ochsen nur unter dem Verzehraspekt gesehen. Dieses Fressen und Gefressenwerden, spricht der Herr und Heiland, muß das sein? Denn aus Bösem kann Gutes werden. Ist nicht auch in dem Bösen ein Fünkchen Gottes? Auch der Diebstahl der Rinder ist Gutes, wenn nur die Rinder einverstanden sind mit ihrem Verzehr. Ist Gottes Odem nicht in allem, was wir sagen, nur nicht in den Schnalzlauten? Sie sind gemacht von Menschen. Auch den Halbmenschen, die Tag und Nacht auf dem Berg stehen, müssen wir predigen Gottes Botschaft, aber sie nicht zu Unmenschen machen. Ich will die Sprache der Halbmenschen lernen, aber ich werde sie nicht das Schreiben lehren, das sie nur brauchen, damit sie ihre Schuldscheine unterschreiben können. Taub war ich wie ein Stein, auf den man schlägt mit einem Stock. Denn es gehet dem Menschen wie dem Vieh; wie dies stirbt, so stirbt auch er; und haben alle einerlei Odem; und der Mensch hat nichts mehr denn das Vieh; denn es ist alles eitel. Die Wolken waren Wasserträger nur, jetzt sehe ich, sie sind die Kissen, auf denen die Winde ruhen.
In der Nacht zum 4. Januar zog ein kurzes heftiges Gewitter über die Ebene. Gorth kam wieder zu Bewußtsein. Er lag neben der grunzenden Sau. Von dem Gestank wurde ihm übel. Erst jetzt wurde ihm bewußt, daß die Ferkel im Laufe der Reise zu kleinen Schweinen herangewachsen waren. Aber noch immer drängten sie sich an die Zitzen der Sau. Vor Gorth stand das Klavier, das er über Tausende von Kilometern in diese menschenleere Landschaft hatte schleppen lassen. Er fragte, wie lange es noch dauern würde, bis man Bethanien erreicht hätte. Petrus schätzte sechs Tage, Lukas fünf. Es war seit Wochen das erste Mal, daß Gorth wieder von Bethanien redete. Er bat Lukas, ihm Papier, Feder und das Tintenfaß zu bringen. An eine Kiste gelehnt, schrieb er einen Brief an seine Verlobte und übergab ihn dann einem der beiden verbliebenen Ochsenjungen. Gegen ein gutes Handgeld sollte er den Brief nach Warmbad tragen.
Gorth trank einen Becher Tee und schlief in dieser Nacht ruhig. Er hatte nur leichtes Fieber.
Am Morgen des 5. Januar versuchte er aufzustehen, konnte sich aber nicht auf den Beinen halten. So setzte er sich hinten auf die Wagenkante, mit dem Rücken an das Klavier gelehnt, und sah, vom Schaukeln und Stoßen des Wagens hin und her geworfen, ein Tal, baum- und buschlos wie ein ausgetrocknetes riesiges Flußbett. Rechts und links war dieses Tal durch Gebirgsränder wie von Steilufern begrenzt. Dazwischen, silbriggrün, das blühende Gras, in das der Wind Wellen furchte wie in einen Strom.
Sie waren fast drei Stunden getreckt, als Petrus und Lukas plötzlich ein gequältes würgendes Stöhnen hörten, wie sie noch kein Stöhnen zuvor gehört hatten. Sie dachten, es käme von der Sau, auf die möglicherweise der gewaltige schwarze Musikkasten gestürzt sei. Sie krochen in den Wagen und sahen, das Stöhnen kam aus dem Mund von Gorth. Immer wieder würgte er dabei eine grünschwarze Flüssigkeit heraus.
In Gorths Schädel dehnte sich etwas aus, wuchs und wuchs, prall, als würde durch einen Blasebalg Luft hineingepreßt. Mit aller Kraft versuchte er sich darauf zu konzentrieren, daß sein Kopf nicht platze. Dann verlor er das Bewußtsein.
Nachmittags wurde es so heiß, daß Lukas behauptete,
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