Morenga
daß er zu sich selbst sagte: man und: er. Er sah den Beutepferden, die man den Hottentotten abgenommen hatte, in die Mäuler. Keine Schindmähren, sondern junges gutes Pferdematerial. Darunter Pferde, die schon zweimal die Besitzer gewechselt hatten und auf Hans oder Lotte hörten. Der Gedanke, daß Morenga auf einem ostpreußischen Pferd gesessen haben könnte, machte ihn lachen.
Es gibt eine Hölle der Tiere. Geschaffen und erhalten von der menschlichen Gesellschaft und ihren Institutionen. Pferde, denen man den natürlichen Schreck vor einem Knall abgewöhnt hat, damit sie zum Kanonenfutter werden. Das Pferd des aufständischen Hottentotten hat nichts gemein mit dem Polizeigaul in Berlin. Beide können sich aber ihre Seite nicht frei wählen. Diese Sätze hatte Wenstrup auf den oberen Rand einer Seite des Kropotkin-Buches geschrieben und darunter einen noch verrückteren Satz: Freie Wahl und freie Entfaltung auch für die Tiere!
Nachmittags sah Oberarzt Haring, aus dem Quarantänezelt der Typhuskranken kommend, wie sich der Oberveterinär Gottschalk an dem Hinterteil einer Kuh zu schaffen machte, einer jener vier Kühe, die man den Eingeborenen zur Selbstverpflegung überlassen hatte. Gottschalk wühlte mit einem Arm in dem Leib der brüllenden Kuh herum. Er versuchte, ein querliegendes Kalb zu drehen. Da das nicht gelang, entschloß er sich, das Kalb im Leib der Kuh zu zersägen. Ein kühner, erst kurz vor seiner Abfahrt entwickelter Eingriff, der mittels eines gebogenen Sägebands ausgeführt wurde. Gottschalk fuhr der Kuh wieder mit den Armen durch die Scheide in den Leib, tastete, legte die Säge um den Körper des Kalbes und begann zu sägen, während immer mehr Soldaten, Zivilisten und Hottentotten herbeieilten und die Operation neugierig verfolgten. Mehrmals rutschte das Sägeband ab. Schließlich zog Gottschalk ein blutiges Stück Fleisch aus der Kuh, bei genauem Hinsehen aber als Schulter erkennbar, dann ein Vorderbein, Teile der Rippen, ein richtiges Schlachtfest, sagte jemand, dann kam das andere Vorderbein zum Vorschein, Teile der Rippen mit dem Hinterbein, schließlich der Kopf mit den verschleimten glasigen Augen. Alles stand und beobachtete schweigend den schwitzenden Gottschalk. Ein Militärsanitäter sammelte die Kalbsteile auf, sagte, die müßten doch besonders zart sein, und trug sie zum Braten beiseite.
Warum diese ganze Schweinerei, fragte Oberarzt Haring, als Gottschalk blutverschmiert die Säge aus dem Leib der Kuh zog. Warum haben Sie die Kuh nicht einfach krepieren lassen?
Gottschalk drängte sich durch den Kreis der Neugierigen und ging hinüber zu einer Wassertonne, wo er sich Arme, Gesicht und den Oberkörper wusch. Haring stand daneben und meinte, als medizinisches Experiment sei dieser Eingriff sehr interessant. Er habe das nicht gemacht, um zu experimentieren, sondern einfach so, sagte Gottschalk. Ein Hottentottenjunge sei gekommen und habe ihn gebeten, das sei alles. Der Junge habe gesagt, die Kuh könne ihr Kalb nicht bekommen, sie würde krepieren, aber alle würden schon auf die Milch warten. Gottschalk hatte sich den Namen der Kuh wiederholen lassen, einen melodischen Namen mit vielen Schnalzlauten, der auf deutsch die Sanftmäulige hieß. Eine Kuh mit auffallend langen schattigen Wimpern, hellbraunem Fell und hohem Widerrist. Die Sanftmäulige war eine Nachfahrin der Weißmäuligen, die einst in der unantastbaren Herde des Hererohäuptlings Zeraas am Ahnenfeuer gestanden hatte und deren Tochter Langquaste von den Leuten Jonker Afrikaners geraubt und so in die Hände der Hottentotten von Warmbad gekommen war. Aber Gottschalk hörte nur das Gebrüll der Kuh. Er verstand nichts. Sonst hätte er von dem Roten Afrikaner hören können, der den Wagen von Missionar Gorth ins Land gezogen hatte, oder von Christopherus, der Klügges gewaltiges Branntweinfaß in das durstige Bethanien getreckt hatte, oder von dem berühmtesten Pfadfinder aller Zugochsen, dem Gabelhorn, von dem der Vermessungsingenieur Treptow sicher durch Steppen und Wüsten geführt worden war. Von all diesen ungeheuerlichen Geschichten wußte Gottschalk nichts.
Die Kuh wäre krepiert, sagte Gottschalk nur, später im Zimmer auf der Pritsche liegend und im Kropotkin blätternd, nachdem ihn Oberarzt Haring nochmals gefragt hatte, warum man sich in diesem Lande wegen einer Kuh die Hände schmutzig machen könne.
Noch am selben Abend kam einer der Bambusen, der in der Feldküche aushalf, ein Hottentotte namens
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