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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Douaihy
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Küche und im Schülerschlafraum gestatte. Sie roch an den Laken und lugte unter die Betten, um sicherzugehen, dass dort keine Mäuseköttel lagen; sie inspizierte die Fenster, um sich davon zu überzeugen, dass keine Zugluft hereindringe, die Elia eine Bronchitis bescheren könne. Zwischenzeitlich war Elia der Überwachung seiner Mutter allerdings mindestens zweimal entwischt. Einmal beteiligte er sich daran, Aale mit Hilfe von Dynamitkapseln zu fangen, und einmal an einem Wettbewerb der Kinder des Viertels über die Größe des männlichen Gliedes. Die Jungen hatten sich in einer langen Reihe auf dem Dach der Mühle vor einem ein Jahr älteren Experten aufgestellt, der die von der Natur Begünstigten unter ihnen auswählte, so dass diese sich auf Jahre hinaus eine Berühmtheit erwarben, die sie mit Stolz erfüllte.
    Elia war ihr einziger. Sie hatte ihn erst nach mühevoller Anstrengung bekommen, und nun sollte sie mit eigenen Augen zusehen, wie er den Pfad der Untugend nahm? Aber Kâmleh war unbestreitbar eine tüchtige Frau, der es gelang, ihn zu retten, denn die Distanz vom Dorf zeigte schon allzu bald – vielleicht sogar rascher, als sie selbst erwartet hatte – ihre Wirkung. Wäre er in ein weit entferntes Land gereist und von dort zurückgekehrt, dann hätten wir wie üblich gesagt, das Meer »hat ihm den Kopf gewaschen«. Doch er war nicht über Beirut hinausgekommen. Nie haben wir erfahren, wie es ihm in der nur eineinhalb Autostunden entfernten neuen Schule ergangen war. Vielleicht war er just zu jener Zeit, als er auf diese Schule kam und das Leben kennenlernte, einer verspäteten Kindheit entwachsen, um ohne Vorwarnung in eine triste und gehemmte Pubertät hinüberzuwechseln, wie manche von uns heute glauben. Wir haben oft über ihn gesprochen. Auf jeden Fall war seine plötzliche Verwandlung in hohem Maße dem guten Ruf zuträglich, welchen die Schulen Beiruts bei uns genossen: In der kurzen Zeit zwischen Weihnachten und Ostern hatte er sich zu einem schüchternen Jungen entwickelt; die Schule hatte ihn erzogen und innerhalb von nur drei Monaten vollkommen verändert.
    Am Gründonnerstag kehrte er für eine Woche zu seiner Mutter zurück. Mit einem dicken Buch in der Hand lag er ausgestreckt auf dem Balkon und begnügte sich die ganze Zeit über mit diesem kleinen Flecken, auf dem die Blumen ihre ersten Frühlingsblüten leuchtend bunt geöffnet hatten. Er machte den Eindruck, als befinde er sich hier, in seinem Haus im »Banden«-Viertel, für eine begrenzte Zeit im Exil von seiner eigentlichen Heimat und als zählte er nur die Tage, die ihn von seiner Rückkehr trennten. Sobald sie eine kühle Brise spürte, legte Kâmleh dem in seine Lektüre vertieften Jungen aus Sorge vor einer Unterkühlung eine Wolldecke über. Wenn die Kameraden aus früheren Zeiten absichtlich oder zufällig am Haus vorbeischlenderten, riefen sie ihm zu, doch er antwortete nicht. Um seine Aufmerksamkeit zu erregen, warfen sie kleine Steinchen nach ihm, ohne dass Kâmleh, die in der Küche beschäftigt war, es bemerkte. Oder sie pfiffen laut auf zwei Fingern, um ihn zu provozieren, doch er scherte sich nicht darum. Man hätte meinen können, er höre sie nicht einmal und sei ganz in der Welt seiner Bücher versunken. Sie blickten sich verwundert an, einer von ihnen zog betreten die Schultern hoch, dann beschlossen sie, zu verschwinden. Sie hatten das Alter, in dem man um Freundschaften bettelte, längst überschritten.
    Bei seinem nächsten Besuch an Silvester brachte er ein Akkordeon mit. Das Taxi ließ ihn weit von seinem Haus entfernt aussteigen, und so schulterte er sich das glänzend rote Instrument auf den Rücken und stapfte, verfolgt von einer Schar kleiner neugieriger Strolche, wie ein disziplinierter Soldat mit seinem Ranzen auf dem Rücken durch den Nieselregen nach Hause. Am Nachmittag hörte es auf zu regnen, und kaum hatte er seine erste Melodie herausgepresst, da trommelten sich die Kinder des Viertels in der Nähe des Balkons von Kâmlehs Wohnung gegenseitig zusammen. Sie schauten ihn stumm an, während er das Instrument bis zum Anschlag auseinanderzog, so weit seine Arme reichten, um es dann wieder zusammenzuschieben, mal darübergebeugt, mal mit geschlossenen Augen, als leide er mit seiner traurigen Melodie, mal wippte er aus Freude über das rasche Tempo mit den Füßen. Er wiegte sich mit dem Instrument und drückte behende die zahlreichen weißen und schwarzen Tasten, die ungewohnte helle Töne erzeugten,

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