Morgen ist der Tag nach gestern
ich direkt zurück ins Präsidium und schlag diesen Zech zu Brei! Bekloppt hin oder her. Ist mir scheißegal. Den mach ich platt!“
Steeg wird noch wochenlang Beschimpfungen für Zech finden. Und dann wird es einen Tag geben, an dem er den Namen nicht mehr erwähnt. Dann ist es vorbei. Das ist Achims Art sich vor dem Grauen zu schützen.
So wie Eingeborenenstämme trommeln, tanzen und singen, um böse Geister zu vertreiben, so vertreibt Achim sie schimpfend und fluchend. So wie der Bach laut plätschert, so wie Kinder in der Dunkelheit singen und so wie Joop mit all seinem „Nichtbegreifen“ auf einem Baumstumpf neben dem Grillplatz sitzt.
Zwischen den Koffern der Spurensicherung, einem Klapptisch und Lembachs Regiestuhl, sitzt er vorgebeugt, die Ellenbogen auf die Oberschenkel gestützt. Die Hände hängen zwischen den Knien, randvoll mit Erschöpfung. Der weiße Overall ist auf die Füße geschoben. Weißer Zellstoff, der ihre Körper schützt, aber eben nur ihre Körper.
Joop würde nicht schimpfen. Joop würde in den kommenden Tagen immer wieder versuchen mit Zech zu reden. Er würde alles daran setzen, zu verstehen. Ein auswegloses Unterfangen. Mit der Zeit würden die Bilder blasser werden. Die Farben würden auslaufen und mit ihnen der Wunsch, den Ereignissen einen Sinn zu geben.
Und Lembach? Lembach wird seine Arbeit machen. Er wird von Spuren und Hinweisen sprechen. Er wird den Fundort parzellieren, die Körper auf Material reduzieren und besessen arbeiten. Er wird das Gesamtbild zerlegen. In immer kleinere Teile zerlegen, bis es ihm erträglich ist. Noch in zehn Jahren wird er die Spurenlage im Fall Zech genau beschreiben können. Aber wenn man ihn morgen fragt, was er empfunden hat, als die kleinen Körper nach und nach zum Vorschein kamen, wird er den Blicken ausweichen und mürrisch sagen, dass er sich auf seine Arbeit hat konzentrieren müssen.
Und er selber?
Böhm lehnt sich an einen Mauerrest und hebt den Blick. Über das Haus der Zechs hinweg, über das zerfurchte Truppenübungsgelände mit den großen, blühenden Ginsterbüschen. Über die feine geschwungene Linie des Reichswaldes, dunkel und schweigend an den Horizont gemalt.
Er hatte das ganze Bild gesehen. Er würde nicht, wie früher und wie Joop jetzt, versuchen es zu verstehen.
Er hatte Zech gehört. Zech, der seine Taten mit einer selbstverständlichen Nüchternheit aufgezählt hatte. Mit einer Mitleidlosigkeit, die ihn hatte frieren lassen.
Er würde die kranke Welt des Frank Zech nicht an sich heranlassen. Er würde sich wehren.
Er stößt sich von der Mauer ab und geht langsam hinüber zu Joop.
Zech hatte in all seiner Verwirrtheit die Fakten nicht verschoben. Er hatte sich unschuldig phantasiert, aber die tatsächlichen Ereignisse entsprachen der Wahrheit.
Böhm ist sich sicher, dass Zechs Schilderungen stimmen. Er hat gesagt, mit dem Feuer habe er nichts zu tun. Und das war glaubwürdig.
Er tippt dem jungen Holländer auf die Schulter.
„Komm, lass uns gehen!“
54
Er ist gleich, als er das Wohnhaus betreten hat, in Miriams Zimmer gegangen. Er war lange nicht mehr hier. Verwunderung hat er empfunden. Verwunderung darüber, dass zwischen ihm und diesen vertrauten Möbeln, den Stofftieren und Kinderbüchern eine Weite liegt. Ein Raum, den er erst überwinden muss, um die Dinge zu erreichen.
Er kann mit seiner Hand über die Buchrücken fahren und sich auf das Bett setzen, das immer noch mit der Tagesdecke, auf der Mond und Sterne zu sehen sind, abgedeckt ist. Aber er kann die Dinge nicht mehr berühren. Oder besser, die Dinge berühren ihn nicht mehr.
Das Rechenheft legt er in ihre Schreibtischschublade. Er tut das ganz mechanisch. Es macht keinen Sinn. Er weiß das.
Was noch zu erledigen ist, tut er mit einer gewissen Gedankenlosigkeit. Nicht ziellos. Eher automatisch. So wie man morgens als erstes ins Bad wankt.
Ein paar Zeilen an seine Söhne. Keine Erklärungen. Die hat er nicht. Mir fehlt ein Grund, könnte er schreiben. Ein triftiger Grund für einen weiteren Tag.
Er duscht und rasiert sich. Aus dem Schrank nimmt er ein frisches Kurzarmhemd und eine Leinenhose. Sein Blick fällt auf die ordentlich gestapelten Winterpullover.
Winter! Kälte, die die Erde durchdringt und den Boden hart macht. Das Glitzern vereister Zweige in der Morgensonne und Schnee. Schnee, der federleicht daherkommt und sich auf den Feldern und Wiesen sammelt. Der sachte – Schicht für Schicht – eine immer dicker werdende Decke
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