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Morgen ist ein neuer Tag

Morgen ist ein neuer Tag

Titel: Morgen ist ein neuer Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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und ging mit langen Schritten den Flur entlang, eilte die Treppe hinunter und trat dann, nach einem Nicken zur Portiersloge hin, auf die in der Sonne flimmernde Straße hinaus. Dort blieb er am Rinnstein unschlüssig stehen, ließ die Autos an sich vorbeifahren und vergrub die Hände in den Taschen.
    1,32 DM kostet die Fahrt von Minden nach Vlotho, dachte er bitter. Und selbst diese lumpigen 1,32 DM habe ich nicht und muß Autos anhalten und um einige Kilometer Fahrt bitten wie ein Bettler, wie ein Landstreicher. Vielleicht sehen die feinen Herren in ihren Schlitten einen auch als Landstreicher an, vielleicht bespritzen sie die Ledersitze mit Parfüm, wenn unsereiner wieder aus dem Wagen geklettert ist, damit sie nicht den Geruch der Straße im Rücken haben … Aber auch sie lagen doch vor gar nicht so langer Zeit irgendwo in einem Schützenloch, verlaust wie ich, hielten die Birne tief in den Dreck gesteckt, wenn es über ihnen hell oder dumpf heranrauschte, und rissen die Knarre an die stoppelige Backe, wenn der Russe, der Tommy oder Ami auf sie zustürmte … Aber jetzt … Maßanzug, dicke Havanna, Mercedes, vielleicht auch noch eine nette Maitresse, von der die Frau nichts weiß und die man ›Reisesekretärin‹ nennt … Fritz setzte sich in Bewegung und trottete über die Straße, mitten über den Fahrdamm, die Hände in den Taschen … dürr, ausgemergelt, ein Gerippe, das lief. Der Rest Mensch, den Rußland wieder ausspeit mit jenem verachtenden njet, das heißen kann: lebe – oder stirb …
    Mit einem Bierwagen fuhr er nach Minden zurück und ließ sich an der Ecke Ulmenstraße absetzen.
    Wieder ergriff ihn das bohrende Gefühl, als er in die Straße einbog und sein Haus, sein schönes, kleines Haus inmitten des Gartens liegen sah. Doch dann straffte sich seine Gestalt, das Kinn schob sich vor … Das ist das Ziel, sagte er sich. Soweit war ich schon einmal … Haus, Frau, Kind und Beruf. Und das muß ich wieder erreichen. Momentan bin ich nur ein durch zwölf Jahre Hölle zermürbtes Tier, das leben will und wieder leben wird. Dann als Mensch.
    Als ein Mensch, der einen Anspruch stellt an sein Leben.
    An sein Leben, um das man ihn betrog … An ein Leben, an dem zwölf Jahre fehlten, die nie wieder einzuholen waren.
    Ein Leben, das er noch gar nicht begreifen konnte …
    Dr. Arnulf Schrader sah kurz auf, als der neue Klient zu ihm in die Kanzlei trat. Durch die breiten Fenster zum Garten hin fiel das durch Grün und Blüten gefärbte weiche Licht des Maitages und zauberte auf die schweren, geschnitzten Möbel wunderschöne Licht- und Schattenspiele.
    »Sie?« sagte Dr. Schrader gedehnt. Er stand auf und kam Fritz Bergschulte entgegen. »Haben Sie etwas vergessen?«
    »Nein.« Fritz sah sich um und lächelte. »Dort, am Fenster, hatte ich immer einen kleinen Ebenholzständer mit einer flachen Kristallschale stehen. Dahinein kamen die ersten Blüten aus dem Garten. Ich pflückte sie immer, weil Lina so sehr junge Blumen liebte. Sie sollten es auch tun, Herr Doktor, das Zimmer wirkt dann richtig festlich.«
    Dr. Schrader biß sich auf die Lippen. Was muß dieser Mann leiden, dachte er voll Mitgefühl. Und er bleibt stark dabei – das ist das größte Wunder. Oder ob Rußland, zwölf Jahre Rußland, das Herz so abtöten, daß es keine Regung mehr kennt? Ob es sich nur noch erinnern kann, aber nicht mehr fühlen? Die Menschen, die aus Sibirien kommen, sind immer ein Rätsel …
    »Um mir das zu sagen, besuchen Sie mich, Herr Bergschulte?« fragte er, nur, um ein Gespräch anzufangen, obwohl er wußte, wie dumm diese Frage war. Und als sein Gast den Kopf schüttelte, wies er auf einen Stuhl, der am Fenster stand.
    »Bitte, nehmen Sie doch Platz, Herr Bergschulte …«
    Fritz Bergschulte setzte sich und sah hinaus in den blühenden Garten. Ein Lächeln lockerte seine zerfurchten Züge auf.
    »Dort, die Kastanie, habe ich noch umgepflanzt, bevor ich eingezogen wurde. Wie groß sie geworden ist. Lassen Sie mich rechnen – sechzehn Jahre ist es her! Sechzehn Jahre … an dem Baum sieht man, wie groß diese Zeitspanne ist. Fast ein viertel Menschenalter – und das ist vertan, verloren, verspielt … Und dort, das Blumenrondell neben der Laube, das habe ich in einem Urlaub angelegt. 1941 war es, ich war gerade Obergefreiter geworden und Lina nähte mir die beiden silbernen Winkel an den Ärmel. Und das Mistbeet drüben am Zaun zum Nachbarn Nossen – er wohnt doch noch da? – das habe ich schubkarrenweise

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