Morgen ist ein neuer Tag
Schuft mir genommen!«
»Man hat mir gesagt, du seist gestorben«, versuchte Korngold zu lügen. Er wich zum Fenster zurück, das ein wenig offen stand. »Wenn du mich anrührst, rufe ich um Hilfe«, setzte er hinzu.
»Feigling!« Alle Verachtung lag in diesem Wort. »In deinen Armen soll ich gestorben sein, was? Witwentröster spielen, den liebenden neuen Ehemann … Du bist ein Schwein. Ich nehme Lina mit mir.«
»Das wird sie allein entscheiden müssen. Sie bekommt ein Kind von mir.«
»Ich werde dieses Kind großziehen als Gegenleistung, daß du meinen Peter auf die Schule schicktest. Aber dich« – Fritz ballte die Faust – »dich werde ich jagen, wenn es sein muß, bis ans Ende der Welt. Und einmal wirst du mir gegenüberstehen, allein, von Mann zu Mann … und dann rechnen wir ab, auf Heller und Pfennig … erbarmungslos, wie wir es in Rußland machten, wenn ein Kamerad die Brotration eines anderen klaute.«
Heinrich Korngold begann am Fenster schon jetzt um sein Leben zu fürchten. Er streckte die rechte Hand in die Tasche und stieß sie wieder durch den Stoff nach vorne.
»Rühr dich nicht von der Tür weg!« zischte er. »Ich habe eine Pistole in der Tasche. Und ich schieße sofort, wenn du dich bewegst. Notwehr … mir kann nicht viel passieren!« Ein verzerrtes Lächeln überzog sein Gesicht, als er sah, wie Bergschulte zurückwich. »Es wäre besser, du würdest ganz aus dem Gesichtskreis Linas verschwinden. Du ziehst den kürzeren, Fritz …«
Die Situation war gespannt, aber noch ehe Bergschulte etwas antworten konnte, trat die Stationsschwester in den Warteraum. Sie sah schnell von einem der Männer zum anderen und berichtete: »Die Patientin ist erwacht. Und der Arzt meint, sie könne Besuch empfangen. Aber nur für zehn Minuten.«
»Gott sei Dank.« Heinrich Korngold trat vom Fenster weg und angelte einen großen Blumenstrauß aus der Ecke. »Ich gehe sofort zu ihr, Schwester …«
»Nein, Sie nicht!« Das Gesicht unter der Schwesternhaube wirkte entschlossen. »Die Patientin will nicht Sie sehen. Sie sind doch Herr Korngold?«
»Ja.«
»Sie ruft nicht nach Ihnen, sondern nach einem Herrn Fritz – Fritz mit dem Vornamen.«
»Das bin ich!« schrie Bergschulte. »Schwester, sie ruft nach mir! Meine Lina ruft nach mir … ich komme!«
Er stieß die Schwester zur Seite und stürmte aus dem Zimmer.
Heinrich Korngold warf den Blumenstrauß auf den runden Tisch und trat an die energische Schwester heran.
»Meine Frau will mich nicht sehen?« stieß er hervor. »Das ist doch Quatsch!«
»Tut mir leid, Herr Korngold«, antwortete die Schwester, »sie will Sie nicht sehen, hat sie gesagt. Sie verlangte nach Herrn Fritz … ich weiß nicht, wie er sonst noch heißt.«
»Danke.« Das Gesicht Korngolds hatte sich verschlossen. Er nahm den Blumenstrauß und trat hinaus auf den hellen Krankenhausflur. Er ging ein wenig gebückt, als trage er eine schwere Last auf seinen Schultern. Vor der Tür zu Linas Krankenzimmer blieb er stehen und lehnte sich wie erschöpft gegen die getünchte Wand. Von drinnen hörte er Stimmengemurmel. Da krampften sich seine Finger um den großen Blumenstrauß, und seine Augen wurden trüb und unglücklich.
»Es ist gut«, sagte er zu der Schwester, die ihm gefolgt war und zu ihm trat, weil sie dachte, ihm sei schlecht geworden. »Ich werde hier warten, bis Herr Bergschulte, Fritz Bergschulte, wieder herauskommt.« Er winkte ab, als sie etwas sagen wollte. »Nein, nein, Schwester, – Sie brauchen keine Sorge zu haben, es passiert nichts.«
Er lehnte sich an die Wand und starrte auf die schönen, blaßroten holländischen Tulpen, die seine Hand umklammert hielten.
Er wartete eine halbe Stunde. Zusammengesunken, mit leeren Augen, vernichtet …
Das ist die Schuld, dachte er. Das ist die Buße. Das ist die Strafe …
Und ich liebe diese Frau wirklich … Vom ersten Tage an, als ich sie sah, liebte ich sie …
Nur weil ich sie liebte, verriet ich Fritz Bergschulte. Nur aus Liebe wurde ich ein Lump …
Fünf Jahre Einsamkeit. Fünf Jahre Sibirien und Ural … und dann steht man vor einer solchen Frau, vor einem Engel – und die ganze Sehnsucht nach zwei Lippen bricht über einen herein, spült alles hinweg … Skrupel, Gewissen, Ehre. Nur die Liebe bleibt, die drängende, alles vergessende Liebe, der Traum in fünf Jahren Sklaverei … Und da gibt es keine Rücksicht mehr, keinen Kameraden – nichts …
Aus Liebe wurde Verbrechen …
Und heute wird die Rechnung
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