Morgen ist ein neuer Tag
verstehst du … Nur … Lina«, er rang um die entscheidenden Worte, zwang sich dazu … »nur … willst du denn wieder zu mir zurück?«
Sie nickte, doch dann öffnete sie die Augen, zum erstenmal, und in ihrem Blick lag die ganze Qual, die ihr das Herz zerfleischte. Es war der Blick eines waidwunden Rehs, fast einer Sterbenden, die noch einmal ihr Leben sieht und keinen Ausweg mehr erkennt als das Nichts … »Ja, Fritz«, sagte sie leise. »Aber – du bist doch für tot erklärt.«
»Für tot erklärt?« Fritz Bergschulte beugte sich vor. »Vor dem Gesetz, ja. Aber doch nicht für dich! Ich stehe ja vor dir, ich spreche doch mit dir … du fühlst doch meine Finger … Für dich bin ich doch nie, nie gestorben …«
»Aber das Gesetz hat mich an einen anderen Mann gebunden. Und das Gesetz erkennt nur diese Ehe an.«
»Ich weiß, ich weiß.« Bergschulte stand auf und ging im Zimmer mit langen Schritten hin und her. »Deshalb werde ich gegen dieses Gesetz ankämpfen, ich werde Sturm laufen, von Behörde zu Behörde, von Minister zu Minister, und ich werde siegen! Und dann sind wir wieder zusammen, Lina – dann werden wir wieder glücklich sein.«
Er blieb vor ihr stehen.
Sie nickte und ergriff seine Hand, drückte sie an die kalten Lippen, und eine zarte, feine Röte überzog ihr blasses Gesicht.
»Ja, Fritz … ja.«
Die Schwesternhelferin trat ein und nickte Bergschulte zu. Da beugte sich dieser über Linas Hand und küßte sie, sah Lina lange an, als wolle er ihr Bild tief in sich aufnehmen, dann wandte er sich ab und verließ das Krankenzimmer.
Draußen auf dem Flur stieß er auf Heinrich Korngold. Dieser lehnte noch immer an der weißen Wand, und der Strauß langer holländischer Tulpen lag zu seinen Füßen auf dem stumpf eingewachsten Linoleumfußboden des Flures. Er sah Bergschulte mit großen Augen an und trat einen Schritt vor, als Fritz an ihm vorbeigehen wollte, ohne ihn zu beachten.
»Was ist mit Lina?« stieß er hervor und stellte sich Bergschulte in den Weg. »Glaubst du, ich lasse mich so beiseite schieben? Lina ist meine Frau!«
Fritz Bergschulte sah den flackernden Blick seines ehemaligen Freundes. Rußland stieg vor seinen Augen auf … die Weite der Taiga, das Lager, Holzhütten, hingeduckt an einen Waldrand, fast im Schnee vergraben, und auf den Lagergassen vermummte, dunkle Gestalten, die hin und her huschten und in den blaugefrorenen Händen vereiste Holzstücke trugen, um die Steinöfen in den Hütten wenigstens etwas dazu zu bringen, Wärme zu spenden. Er sah plötzlich auch wieder Heinrich Korngold vor sich, wie er eines Tages von der Krankenbaracke in den Raum geschlichen kam, seine Stiefel auszog und ganz überraschend aus irgendeinem Winkel der zerlumpten Fetzen, die er am Leibe trug, einen Klumpen Butter zum Vorschein brachte und ihn mit ihm, Fritz Bergschulte, teilte. »Zwei Tage Kraft«, sagte er dabei und lachte. Und sie aßen zusammen und fühlten mit einer Wonne ohnegleichen, wie das ranzige Fett den Schlund hinunterglitt. Und dann der Abend, als Korngold entlassen wurde. Alles hat er verteilt, was er sich in den vier Jahren Sibirien organisiert hatte – alte Blechlöffel, eine Schüssel, gehämmert aus einer Konservendose, ein Messer mit geschnitztem Holzstiel und als größte Kostbarkeit eine halbe Büchse Salzfleisch, das er einem russischen Posten gestohlen hatte, dem er die Stiefel hatte putzen müssen. Und derselbe Heinrich Korngold, der Kamerad auf Leben und Tod, stand jetzt vor ihm, im Gang eines Krankenhauses, vor dem Zimmer einer Frau, die ihnen beiden gehörte, und tödliche Feindschaft glühte in seinen Augen, Mord, wenn er nicht bestraft werden würde … Mord an dem Kameraden, dem man ewige Treue geschworen hatte.
Fritz Bergschulte faßte Korngold, der ihm in den Weg getreten war, an der Schulter und drückte ihn zur Seite. Dieser Griff war so fest und eisern, daß Korngold nichts sagte, sondern sich wieder gegen die Wand lehnte.
»Lina geht es besser. Du kannst jetzt zu ihr gehen. Ich werde versuchen, eure Ehe für ungültig erklären zu lassen. Und dann will ich dich nie wiedersehen … nie, Heinrich … wenn du gesund weiter leben willst!«
»Und das Kind?« sagte Korngold. »Linas und mein Kind?«
Etwas wie Mitgefühl schwang in Fritz' Stimme, als er erwiderte:
»Das Kind bekommt ihr nicht. Lina hat es verloren.« Das war trotzdem noch hart genug.
»Das … das Kind …« Heinrich Korngold schloß die Augen. Fritz Bergschulte wandte sich ab
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