Morgen letzter Tag!
Schlussendlich haben sich noch die meisten Kulturen irgendwann aus der Geschichte verabschiedet. Und warum? Nun, so genau weiß das keiner. Multikausal, sagt man. Und damit eine Frage der Deutung. Also könnte es doch auch an der besagten moralischen Zerrüttung gelegen haben.
Oder sollten die Mahner nur deswegen so auf dem moralischen Verfall als Grund für das nahe Zivilisationsende bestanden haben, weil man vergessen hatte, sie zu den Orgien einzuladen, die eben nicht den Untergang, sondern jede Menge Spaß brachten?
Weltmüdigkeit aus Neid und Frustration?
Das mag im Einzelfall so gewesen sein, wir wissen es nicht. Nur eines scheint klar: Wer den Untergang prognostiziert, hat anscheinend klammheimlich auch so seine Freude dran.
Kommen wir also zunächst einmal zurück zur Abteilung » Untergang aus religiösen Gründen«.
Da freut man sich nicht nur heimlich auf den Untergang, sondern sogar unheimlich. Will sagen öffentlich. Denn der Untergang bedeutet ja im Bereich des religiösen Denkens keine Katastrophe in dem Sinn, sondern ihr Gegenteil, das große Comeback des Heilands. Das verlorene Paradies wird wieder installiert, und ein großes Gericht stellt endlich die im Alltag vermisste göttliche Gerechtigkeit wieder her. Und noch ein großer Vorteil: Der Untergang betrifft wirklich alle. (Nur wenige der Gerechten werden verschont.) Es bleibt also keiner übrig, der ungerechtfertigterweise vom Schicksal verschont bleibt und sich über die Gewesenen lustig machen kann. Der totale Untergang hat so etwas Sozialistisches. Die Gerechtigkeit des absoluten Nullpunkts. Alle Menschen sind dann gleich. Gleich tot.
Erst kürzlich hatte ein amerikanischer Prediger mit dem lustigen Namen Camping wieder einmal das nahe Ende der Welt verkündet. Und zwar für den 21 . Mai 2011 . Da sollte die sogenannte Entrückung (engl.: » rapture«) stattfinden. Hierbei werden diejenigen, die vor dem Weltuntergang, der dann etwa fünf Monate später stattfindet, gerettet werden sollen, direkt in den Himmel praktiziert. Beam me up, Gotty!
Nach den Schätzungen von Herrn Camping müssten wir also am 21 . Mai 2011 ungefähr 200 Millionen Mitmenschen verlustig gegangen sein. (Immerhin! Wer hätte gedacht, dass es so viele sind. Diese Zahl wird uns übrigens gegen Ende des Buches verrückterweise noch einmal begegnen. Allerdings ist » Rettung« dann nicht mehr die Überschrift.) Diese reinen Seelen würden dann dem himmlischen Endspiel auf Logenplätzen in der Nähe des Herrn beiwohnen und zusehen, wie die gemeinen Sünder vom Angesicht der Erde getilgt werden.
Wie Sie wissen, war’s wieder mal nix. Aber woher wissen wir das? Immerhin leben mittlerweile fast sieben Milliarden Menschen auf unserem unübersichtlichen kreisenden Debakelplaneten. Hunderte von Millionen sind nicht registriert, ballen sich in Megacitys ohne Einwohnermeldeamt, unerfasst von Behörden oder Verwaltungen. Wenn da über die Welt verteilt Einzelne der Gnade des Herrn teilhaftig werden und verschwinden, würde die Welt das bemerken? Wohl eher nicht. Immerhin verschwinden in diesen Gebieten doch täglich Menschen, ohne dass die Weltöffentlichkeit davon Notiz nimmt. Also? Hatte Herr Camping doch recht? Oder besser, könnte er recht gehabt haben? Die Entrückung hat stattgefunden, nur die Welt hat es nicht mitbekommen, weil eben nur die Armen und Unterprivilegierten entrückt wurden? (Was wenig verwundern dürfte, immerhin geht ja ein Reicher, wie man weiß, nur ganz schwer durch ein Nadelöhr. Und deswegen auch nur mit Mühe in den Himmel.) Aber nein, die Entrückung hat nicht stattgefunden, da ist sich Herr Camping sicher, denn er selbst ist ja nicht entrückt worden, sondern im Gegenteil immer noch bei uns, ebenso wie seine Anhänger. Und die (da sind sie ganz sicher) wären, hätte die Entrückung stattgefunden, ebenfalls mit in den Himmel aufgestiegen. Wir Ungläubigen könnten diese Sicherheit als mangelnde Demut deuten, aber was zählt schon die Meinung von Verdammten?
Also, es war nix mit dem 21 . Mai 2011 . Schad. Das dürfte aber sogar für die Anhänger des Endzeitpropheten nicht wirklich überraschend gewesen sein, immerhin hatte er den gleichen Vorgang schon für 1994 angekündigt. Interessant ist, dass nach dem von Gott nicht wahrgenommenen Termin 1994 , als Herr Camping und seine Jünger zum ersten Mal vom Herrn versetzt worden waren, die Anzahl der Anhänger des Propheten nicht sank. Man hätte das ja vermuten können, immerhin hatte die Gemeinde nun
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