Morgen letzter Tag!
genug gedacht worden? Sollte man nicht besser endlich in Aktion treten? (Wobei dabei immer mitschwingt, das Denken an sich sei keine Aktion.)
Jetzt handeln!
Jetzt eine Veränderung des Veränderungswürdigen erzwingen!?
Das klingt zunächst gut, aber der slowenische Philosoph Slavoj Ž i ž ek weist zu Recht darauf hin, dass auch Demonstrationen als politischem Mittel zumindest mit einer gewissen Zwiespältigkeit begegnet werden muss. Als zum Beispiel während des zweiten Irakkriegs in Europa Zehntausende auf die Straßen gingen, um mit Slogans wie » Kein Blut für Öl« gegen die amerikanische Politik zu demonstrieren, da bemerkte George W. Bush: » Sehen Sie, genau dafür kämpfen wir: Damit das, was Sie hier tun– gegen die Politik Ihrer Regierung zu protestieren–, auch im Irak möglich wird.«
Der Protest also nur als Bestätigung? Ein Protest, bei dem sich jeder wohlfühlt, sowohl der Protestierende, weil er ja moralisch im Recht ist, als auch derjenige, der Ziel des Protests ist, und zwar weil er ja auch moralisch im Recht ist?
Könnte sein, dass das nichts bringt.
Nicht unähnlich wurde in Deutschland die » Bewegung« der » Wutbürger« wahrgenommen, die sich wahlweise gegen die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken oder Stuttgart 21 oder was weiß ich richtete. Im Grunde sind alle dafür, dass immer mehr Menschen dagegen sind. Die Medien schwärmten, dass jetzt endlich auch diejenigen auf die Straße gingen, die es noch nie getan hätten. Der Bürger reibe sich den politischen Schlaf aus den Augen, vorbei die Politikmüdigkeit, rein in die Aktion. Und auch in der Politik lobte man das neue Bürger-Engagement. Also entweder war da eine Veränderung im Gange, die niemandem Angst machte, weil alle damit einverstanden waren, oder es war keine Veränderung im Gange, und deswegen hatte auch keiner Angst.
Diese Vermutung wird gestützt, wenn man sich den Begriff » Wutbürger« einmal ansieht. Was sagt er? Der Bürger ist also wütend. Wer wütend ist, der ist emotional und irrational. Der muss sich mal Luft machen. Die Wut muss man mal rauslassen– und ist die Wut erst raus, ist dann die Luft auch raus? (Noch lässt sich das nicht so genau sagen. Der Reaktorunfall in Fukushima hat der Antiatomkraftbewegung so viel Schub gegeben, dass sie zu einer wirklichen Veränderung in der deutschen Atompolitik geführt hat. Nur die Demonstrationen allein hatten die Mächtigen seit Jahrzehnten schmerzfrei ausgesessen.)
Abb. 1: Hatte man nicht insgeheim gehofft, die Tepco-Truppe hätte irgendeine Art von Supergau-Action-Team mit Spezialgeräten? Einen Roboter? Cyborgtechnologie? Mechazilla, den Antiatom-Giganten? Nun, hatten sie nicht. Sie hatten nur Trainingsanzüge und verzweifelte Höflichkeit.
Wir hatten alle womöglich zu lange gedacht, die Politik sei nur ironisch gemeint. Eine Demokratie-Simulation, deren einziges Problem es war, wenn man alle vier Jahre an der Wahlbeteiligung merken konnte, dass immer mehr Mitmenschen gemerkt hatten, dass es sich nur um eine Simulation handelte. Deswegen hatten sie an einem schönen Sonntag etwas Wichtigeres zu tun, als ihre kleine Statistenrolle zu spielen und den Status quo zu bekreuzigen. Aber das war auch nicht sehr schlimm, weil man ja wusste, wer immer auch gewählt wird, am Ende gewinnt ein Sozialdemokrat, egal von welcher Partei. Nur dass die Sozialdemokraten von der Union und von der FDP uns vielleicht ein bisschen mehr bescheißen als die von der SPD oder den Grünen oder der Linken.
Jeder hatte das Gefühl, wenn es wirklich mal hart auf hart kommt, dann kommen schon die Profis und richten alles. Nun aber haben uns die Finanzkrise, das Ölbohrloch im Golf von Mexiko und Fukushima gezeigt, dass auch die sogenannten Profis nicht wirklich wissen, was sie tun. (In Fukushima wollte man ein Leck in der Reaktorwand mit Zeitungspapier und Sägespänen abdichten. Im Golf von Mexiko hat man es mit alten Golfbällen und sonstigem Abfall versucht. Das ist schon gruselig, denn so was Ähnliches wäre wohl jedem eingefallen! Also wirklich jedem! )
Was tun? Ihnen vergeben? Das wäre christlich.
Aber das wirkliche Problem ist, dass wir jetzt zu merken beginnen, dass möglicherweise wirklich alle Macht vom Volke ausgeht. Und das wären dann wiederum wir. Was aber wiederum bedeutet, dass wir auch verantwortlich sind. Wir– und nicht die » Profis«, diese ominöse Deus-ex-machina-Eingreiftruppe, mit der wir insgeheim doch immer gerechnet haben.
Schön, nur wenn wir am
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