Morgen wirst Du frei sein (German Edition)
auspackte, stand ich in der Tür an den Rahmen gelehnt.
Sie hatte ihre Kleidung geholt. Unterwäsche, Strümpfe, Schlafanzüge, Hosen, Shirts, Blusen, Pullover. Keine Röcke oder Kleider. Sie sortierte alles auf dem Bett und öffnete die Schranktüren. Seufzte.
»Haben wir große Müllsäcke?«, fragte sie über die Schulter.
»Ich denke schon.«
Sie schaute mich an. »Und? Holst du mir welche? Sei so lieb.«
Ich gehorchte.
Als ich zurück war, die blauen Beutel in der Hand, war der Fußboden bedeckt mit Mutters Kleidern.
»Magst du das alles in die Säcke stopfen? Wir können sie bei Gelegenheit zur Rotkreuzstation bringen, da sind Altkleidercontainer. Weißt du, wo?«
Ich nickte, bewegte mich aber nicht.
Sie warf mir einen Seitenblick zu. »Ach, gib her, ich mach das«, winkte sie ab. »Warum hackst du nicht Holz für heute Abend? Es ist doch etwas kühl, wenn man auf dem Sofa sitzt. Und so ein knisterndes Feuer im Ofen ist urgemütlich, findest du nicht?«
Ich verließ das Haus, ging zum Schuppen und starrte auf den vor dessen Wand sauber geschlichteten Holzstapel, auf die Axt, auf den Holzklotz. Mutter hatte Angst vor der Axt gehabt, schon immer. Nach Vaters Tod hatte ich mich um Feuerholz gekümmert.
Ich nahm das Beil, wog es in der Hand. Dann legte ich ein Stück Holz zurecht und spaltete es mit einem Hieb. Wie es diese Frau angeordnet hatte, die in diesem Moment damit beschäftigt war, bei mir einzuziehen.
Die Tage vergingen. Ich gewöhnte mich an die neue Situation, an die Freundlichkeit, mit der ich behandelt wurde, an die Gelassenheit, mit der Thea, wie ich sie nach einigem Zögern nun nannte, das Leben anzugehen schien. Sie plauderte, diskutierte, hinterfragte, erkundigte sich nach meiner Meinung, nach meinen Wünschen und Plänen.
Ich entspannte mich zunehmend.
Sie war einfach da, so, als wäre es niemals anders gewesen. Und sie würde, das war mir rasch klar geworden, nicht mehr verschwinden. Ich wusste nicht einmal, ob ich überhaupt wollte, dass sie mich verließ.
Hin und wieder brach sie mit ihrem Fahrrad auf und blieb einige Stunden weg. Ich hatte mich nie getraut, sie zu fragen, wohin sie fuhr.
Zwei Wochen nachdem sie vor meiner Haustüre gesessen hatte und mit einer Selbstverständlichkeit geblieben war, die mich noch immer verblüffte, folgte ich ihr.
Sie radelte die Straße hinunter bis zur Dorfstraße, bog rechts ab und sofort links in einen Feldweg ein. Ich hielt Abstand. Als sie am Waldrand angekommen war, trat ich in die Pedale. Meine Augen brauchten einen Augenblick, bis sie sich an die Dämmerung im Wald anpassten, dann sah ich Thea wieder.
Sie war mehrere hundert Meter entfernt. Sie bog ab in einen Trampelpfad, den Jäger nutzten, um zu einer Fütterungsstelle für Wild zu gelangen. Ich beschleunigte, um sie nicht aus den Augen zu verlieren. Plötzlich erkannte ich meinen Fehler. Sie hatte angehalten, sich umgedreht, schaute mir entgegen.
Ich blieb stehen, verlegen.
»Und? Jetzt?«, fragte sie.
Ich wusste keine Antwort.
»Fahr nach Hause!«
Ich zögerte, öffnete den Mund, um etwas zu sagen.
»Sofort!«
Ich nickte, drehte mein Fahrrad um und kurbelte davon. Ich schämte mich.
Am Abend saß ich in der Küche, die Uhr im Blick, und wartete auf sie. Ich machte mir Sorgen. Ich hatte ein schlechtes Gewissen. Und Hunger.
Ich schmierte mir ein Brot, aß es im Stehen vor dem Fenster. Draußen wurde es allmählich dunkel. Blaue Stunde hatte meine Großmutter diese pastellfarbene Stimmung genannt.
Ein Geräusch an der Haustüre. Sie war wieder da. Ich seufzte erleichtert. Ich hatte sie nicht kommen sehen, sie musste sich über die Wiese hinter dem Haus genähert haben. Ich wandte mich um.
»Tu. Das. Nie. Wieder.«
Meine Nackenhaare richteten sich auf beim Klang ihrer Stimme und dem Ausdruck in ihren Augen.
»Geht klar«, flüsterte ich.
»Und jetzt schür doch mal den Ofen an, es ist etwas frisch hier drin. Hast du schon gegessen?«
Als wäre nichts gewesen. Als hätte ich mir die eiserne Kälte ihrer Worte nur eingebildet.
»Ja. Ein Brot.«
»Soll ich noch ein paar Reibekuchen machen?«
»Ich habe keinen Hunger. Ich ...«
»Ja?«
»Mir ist übel.«
»Oje. Ich mach dir einen Tee und eine Wärmflasche. Leg dich aufs Sofa und pack dich in die Decke ein! Ich bin gleich bei dir.«
5. Kapitel
Ende September ging ich wieder zur Arbeit. Kurz vor Semesterbeginn nahm der Andrang in der Buchhandlung für gewöhnlich zu. Man benötige meine Hilfe,
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