Morgen wirst Du frei sein (German Edition)
mein Handy klingelte.
»Chris?«, hörte ich eine schwache Stimme. »Chris, komm zurück. Schnell! Bitte!«
»Susan? Bist du das?« Schlagartig schienen meine Beine ihre Stabilität zu verlieren. In meinem Kopf summte es. Ich drückte das Telefon fester an mein Ohr.
»Susan? Was ist los? Ist was mit dem Baby? Was ist passiert?«
»Komm ... Bitte.« Die Verbindung brach ab.
Ich stürzte ins Freie, wo der Mechaniker damit beschäftigt war, mit einem Drehmomentschlüssel die Radmuttern an Susans Wagen zu kontrollieren. Ich schob ihn weg, warf mich auf den Fahrersitz und raste los. Im Rückspiegel wurde der mir entsetzt nachblickende Mann im blauen Overall rasch kleiner. Schleudernd bog ich auf die Landstraße nach Kleinspornach ein und gab Vollgas.
Was war los? Verlor sie das Kind? War sie gestürzt? Hatte sie sich verletzt? In meinem Kopf rotierten Gedanken. Als ich fast von der Straße abkam, nahm ich den Fuß vom Gas. Es machte keinen Sinn, wenn ich an einem Baum landete, statt zu Hause.
Allmählich wurde ich ruhiger. Susan war Ärztin. Wenn etwas mit dem Kind wäre, hätte sie einen Notarzt gerufen. Der wäre nicht nur ebenso schnell bei ihr wie ich, er könnte zudem Hilfe leisten. Ich war dazu nicht in der Lage. Was also war es, das ihre Stimme so klingen ließ? Ich fuhr noch langsamer. Sie klang ... ängstlich. Panisch. Susan hatte Angst. Wovor? Sie war nicht leicht aus der Ruhe zu bringen, also musste etwas passiert sein, womit sie nicht umgehen konnte.
Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf. Ich verwarf ihn wieder. Er blieb. Ich versuchte, ihn wegzuschieben. Es konnte nicht sein! Es war unmöglich!
Oder?
»Du musst die Gefahr wittern«, hatte mir Zecke aus seinem Punkerleben erzählt. Punks lebten in ständigem Risiko, zusammengeschlagen zu werden, nicht nur von Neonazis, sondern auch von vermeintlich braven Schülern, sobald sie, betrunken und in Gruppen auftretend, auf ein Abenteuer aus waren. Dann kam einer dieser auffälligen, aber harmlosen Typen gerade recht. Dieser Gefahr, das hatte Zecke rasch gelernt, konnte man sich nicht stellen, man musste ihr ausweichen.
Man musste wittern lernen. Und das verdammt schnell.
Ich näherte mich dem Ortsschild von Kleinspornach. Meine Sinne waren geschärft wie damals, als ich mit meinem Vater im Wald auf dem Hochstand saß und auf die Wildsau wartete, die bereits mehrere Spaziergänger angegriffen hatte.
Ich parkte den Wagen in einer Seitenstraße und stieg aus. Dann wandte ich mich Richtung Wald, schlug damit einen Bogen, überquerte das Nachbargrundstück, überstieg einen wackeligen Zaun und näherte mich meinem Haus auf dessen fensterloser Rückseite.
Leise schlich ich an der Hauswand entlang, spähte um die Ecke. Ich lauschte. Waren da Stimmen?
An der Flanke des Gebäudes lag Kies. Wahrscheinlich würden die Fenster angesichts der winterlichen Temperaturen geschlossen sein, doch ich wollte kein Risiko eingehen. Daher wechselte ich die Richtung und kroch durch ein Beet, zwischen Sträuchern hindurch und befand mich schließlich unter dem Wohnzimmerfenster, an dem der Esstisch stand.
Da waren Stimmen!
Leise erhob ich mich und versuchte, einen Blick ins Innere zu werfen. Wegen der Vorhänge war nichts zu erkennen. Außerdem spiegelte die Scheibe. Ich duckte mich wieder und lauschte erneut.
Unverständliches Gemurmel. Zwei Personen. Die eine sprach jetzt lauter, einzelne Wörter drangen durch das Fenster, wurden verständlich ...
Thea!
Ich ließ mich auf die Knie sinken. Mein Kopf dröhnte. Panik stieg in meiner Brust auf. Ich hatte es geahnt, immer schon. Diese Frau sperrte man nicht einfach ein und vergaß sie!
Ich zwang mich zum Denken. Was hatte sie vor? War sie hier, um uns zu töten? Offenbar hatte sie Susan befohlen, mich anzurufen und hierher zu beordern. Warum? Susan lebte und schien unverletzt. Also war ich das Ziel. Thea wollte mich. Aber wozu? Rache?
Plötzlich war ich absolut ruhig. Ich erhob mich und schlich zurück hinter das Haus. Von dort tastete ich mich Schritt für Schritt, jedes Geräusch vermeidend, über die Steine zur Kellertreppe. Ich stieg vorsichtig hinunter, griff nach dem Schlüssel, der auf dem Türrahmen lag, und schloss auf. Millimeter für Millimeter öffnete ich die Tür. Sie begann zu knarren. Erschrocken hielt ich inne. Ich erinnerte mich daran, dass ich die Angeln ölen wollte, um sie leichtgängiger zu machen. Vergessen.
Ich drehte um und ging die Treppe leise wieder nach oben, wandte mich zum
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