Morgen wirst Du frei sein (German Edition)
Abteilung der Klinik, da kommt niemand rein und niemand raus, glaub mir. Ich war nur ein einziges Mal drin, als ich einen Kollegen vertreten musste. Dieser Gebäudetrakt ist besser überwacht als der Keller der Bundesbank. Also nimm den Brief als das, was er ist: ein Versuch der Kontaktaufnahme. Diese Frau ist einsam. Und sie hat nur dich. Aus ihrer Perspektive bist du eine ihr nahestehende Person, ein Verwandter.«
Ich war mit dem Brief in der einen, dem Telefon in der anderen Hand ziellos durchs Wohnzimmer gerannt. Nun ließ ich mich in Mutters alten Sessel fallen.
»Du hast recht. Ich bin hysterisch. Aber ehrlich ... Ich bin zu Tode erschrocken!«
Zecke gab einen zustimmenden Laut von sich. »Wäre ich auch. Das ist normal. Und jetzt schmeiß den Wisch weg.«
Er überlegte kurz. »Warte mal. Ich würde ihr verbieten lassen, Dir zu schreiben. Die Klinik kann ihr ohne Grund Kontakte nicht verweigern. Ihre Briefe werden nur inhaltlich kontrolliert, ob sie damit eine Straftat begeht. Jemanden bedroht oder so. Das hat sie nicht getan, ihre Worte klingen ja sehr harmlos. Wie sie auf dich wirken, ist natürlich ein anderes Thema. Wende dich einfach an den zuständigen Arzt, der wird sicher etwas unternehmen. Und wenn nicht, gibt es ja auch noch juristische Mittel.«
Ich nickte. Ja, das würde ich tun. Ich würde mich dagegen wehren, von Thea weiterhin belästigt zu werden. »Benutzt« hatte meine Therapeutin es bezeichnet. Thea benutzte mich. Sie mochte mich nicht, sie brauchte mich.
»Bist du noch da?«, fragte Zecke.
Ich schrak aus meinen Gedanken auf. »Äh ... Ja. Ich war nur ... Ich kümmere mich darum. Das geht sicher telefonisch, oder?«
»Probier´s!«
»Mach ich. Danke für den Tipp.«
»Kein Problem.« Zecke zögerte kurz. »Hey, alles okay mit dir? Kommst du klar?«
»Ja. Jetzt schon. Danke fürs Zuhören.«
Zecke lachte. »Bedank dich nochmal, dann füllst du mein Bedürfnisbecken nach Höflichkeit und Anerkennung bis zum Anschlag auf. Meine Kids kennen keine Wörter wie ‚bitte‘ und ‚danke‘. Bei denen muss ich froh sein, wenn ich kein ‚verpiss dich, Alda‘ zu hören kriege.«
Wir legten auf. Ich blieb noch eine Weile sitzen, las den Brief aufs Neue und erkannte, dass sich kein Satz darin befand, der als Drohung ausgelegt werden könnte. Es waren nette, freundliche Worte, die Sehnsucht nach einem vertrauten Menschen ausstrahlten, einem geliebten womöglich.
Selbstverständlich sei es möglich, seiner Patientin zu untersagen, mit mir Kontakt aufzunehmen, erklärte mir Dr. Weingart, Theas behandelnder Psychiater. Eine einstweilige Verfügung oder andere »Keulen« benötige er nicht, um meinem Wunsch zu entsprechen, außer, seine Patientin würde gegen das Verbot protestieren. Davon gehe er allerdings nicht aus. Ich könne mich darauf verlassen, dass ich nicht mehr behelligt würde. Darüber hinaus solle ich mir keine Sorgen machen und gegebenenfalls mit meiner Therapeutin über meine Ängste sprechen.
Ich war erleichtert.
Unsicher, ob ich Susan von dem Brief erzählen sollte, rief ich abends Zecke an. Wir wogen die Argumente dafür und dagegen ab und einigten uns schließlich darauf, sie nicht zu beunruhigen. Was sollte es denn auch bringen? Ich hatte getan, was ich konnte, um weitere Versuche Theas zu unterbinden, mit mir Kontakt aufzunehmen, damit war die Angelegenheit erledigt.
Zecke versprach, einen ehemaligen Kollegen aus der Klinik anzurufen und ihn zu bitten, sich zu erkundigen, ob in Theas Akte ein entsprechender Eintrag erfolgt sei. »Nicht, dass wieder mal was untergeht. Kann ja mal vorkommen.«
»Na hoffentlich kann es nicht mal vorkommen, dass einfach jemand zur Tür rausspaziert«, entgegnete ich.
»Quatsch!«
Der Zwischenfall wurde rasch durch eine Nachricht verdrängt, die einschlug wie die sprichwörtliche Bombe: Susan war schwanger.
Wir hatten gekocht und lagen nun satt und zufrieden auf ihrem Sofa, als sie mir ein Bild unter die Nase hielt. Ich warf einen Blick darauf, schaute dann genauer hin. Kein Zweifel, dies war das Ultraschallbild eines Embryos. Zu erkennen war nicht wirklich etwas, doch Susans Gesicht sprach Bände.
Wie reagiert man auf die Eröffnung, Vater zu werden? Wie verhält man sich als werdender Erziehungsberechtigter?
Ich rastete völlig aus vor Freude. Tobte durch die Wohnung, sprang auf dem Sofa herum, riss ein Fenster auf und brüllte: »Ich werde Vater!« in die Nacht. Ich wusste nicht, wohin mit meinen Emotionen, mit der Energie,
Weitere Kostenlose Bücher