Morgen wirst du sterben
und hat mir Schwimmen beigebracht und Fahrradfahren. Und wir haben ihm vertraut, meine Mutter hat alles für ihn aufgegeben. Aber er hat uns im Stich gelassen. Weil er wieder mal eine andere kennengelernt hat, weil er einfach nicht treu sein konnte, weil er sich nicht festlegen wollte. Dass meine Mutter vor lauter Kummer den Verstand verloren hat, das war ihm scheißegal. Und ich war sechs, gerade mal sechs, aber meinen Vater hat das nicht gekümmert, er hat mich einfach fallen lassen, als wär ich nicht sein Kind. Mama haben sie in die Anstalt gebracht und ich war allein.«
»Und dann?«, fragte Sophia. »Haben sie dich ins Heim gesteckt?«
»Ich musste zu Werner. Aber Werner hat mich gehasst, weil er wusste, dass ich nicht sein Sohn bin, sondern nur ein Kuckucksei.«
»Warum hat er dich dann aufgenommen?«, fragte Philipp. »Das musste er doch nicht tun.«
»Er wollte es aber. Weil er mich quälen wollte, weil er mich dafür bestrafen wollte, dass es mich gibt. Er hat mich geschlagen, bis das Jugendamt eingeschritten ist. Da kam ich in ein Internat und dann in ein anderes. Die wollten mich alle nicht haben und ich wollte sie auch nicht. Ich wollte zu meinem Vater, der mir versprochen hatte, dass er für mich da ist. Aber der hatte keine Zeit, denn er war ja damit beschäftigt, wild in der Gegend rumzuvögeln.«
»Wie hast du das rausgefunden?«, fragte Philipp. »Nicht einmal Moritz und Sophia wussten von mir und Julie.«
»War nicht allzu schwer. Ich bin in die Praxis eingebrochen, da hab ich es rausgefunden. Er hat ja Alimente für euch alle gezahlt, nur für mich nicht.«
»Und seitdem beobachtest du uns?«
»Ich weiß alles über euch. Ich kenn euch besser, als ihr euch selbst kennt.«
»Ich hab dir vertraut«, sagte Philipp. »Du warst mein Freund.«
»Ach was. Du weißt doch gar nicht, was Freundschaft ist. Du willst alle nur ficken. Diese Geschichte mit Yasmin, das ist doch erbärmlich, das kotzt mich einfach nur an.« Jens verzog das Gesicht. »Und Julie. Die ihrer besten Freundin eiskalt den Studienplatz wegschnappt. Die alle ausnutzt. Kannst mir mal eben die Küche aufbauen, dann darfst du mich auch vögeln.«
Julie reagierte nicht. Sie hatte die Augen geschlossen, ihr Kopf lag auf Sophias Schulter, die den Arm um sie gelegt hatte. Moritz hatte ihre Jogginghose aufgeschnitten, der Verband war schon dunkelrot.
Sie muss ins Krankenhaus, dachte Philipp. Sonst stirbt sie. Aber dann wurde ihm bewusst, dass sie alle sterben würden, wenn nicht irgendein Wunder geschah.
»Und Moritz«, fuhr Jens fort. »Papas Stolz. Will Arzt werden wie sein Vater. Und steigt besoffen ins Auto, fährt einen Radfahrer um und lässt ihn liegen. Ganz der Papa. Nur nicht nach links und rechts schauen. Nur nach vorn sehen und an sich selbst zuerst denken. So seid ihr alle drei.«
»Wie hast du uns hier entdeckt?«, fragte Moritz.
»Ihr habt euch verraten. Ich wusste von Philipps Sekretärin, dass ihr weg seid. Irgendwo an der Ostsee, das hat mir Julie erzählt. Und Sophia hat einen Leuchtturm erwähnt, der hier in der Nähe ist. Und Philipp den Golfplatz. Den Rest hat Google für mich erledigt. Jedenfalls fast. Es gab zehn Ferienhäuser, die infrage kamen. Der vierte Vermieter war der richtige und hat auch gleich bereitwillig den Ersatzschlüssel rausgerückt.« Er lächelte. »Da bin ich nun. Der fünfte Sohn.«
»Damit kommst du doch nie im Leben durch«, sagte Moritz. »Wenn du uns umbringst, wirst du sofort geschnappt.«
»Es ist dann gar nicht mehr nötig. Wenn ihr tot seid, geh ich auch.«
»Und Jochen?«
»Stirbt. Oder wird gefunden, bevor er verdurstet ist. Ist mir egal. Erledigt ist er in jedem Fall.«
»Was ist mit Sophia?«, fragte Philipp.
»Was soll mit ihr sein?«
»Warum willst du Sophia töten?«
»Sie ist Jochens Tochter.«
»Ist das alles?« Philipp schüttelte den Kopf. »Komm schon, zu Moritz, Julie und mir ist dir doch so viel eingefallen. Sophia ist noch nicht mal siebzehn, sie hat niemandem was getan. Warum muss sie jetzt schon sterben?«
Sophia hörte Julies rasselnden Atem. Julies Kopf lag schwer und heiß auf ihrer Schulter. In ihrem eigenen Kopf rauschte das Blut so laut, dass sie Schwierigkeiten hatte, Philipp zu verstehen. Es interessierte sie auch nicht, was er sagte. Es war sinnlos, Felix, der in Wirklichkeit Jens hieß, würde sich nicht überzeugen lassen. Er hatte sich ihr Vertrauen erschlichen, er hatte sie alle monatelang betrogen. Nun war er am Ziel. Nichts und niemand
Weitere Kostenlose Bücher