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Morgen wirst du sterben

Morgen wirst du sterben

Titel: Morgen wirst du sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Mayer
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Bonn zu fahren. Dadurch wird dein Heimweh doch noch schlimmer. Bleib lieber hier. Ich nehm mir auch frei und dann zeig ich dir die Stadt. Die Ecken, in die man als Touri sonst nicht so kommt. Und abends gehen wir aus.« Sie wunderte sich über sich selbst. Warum war sie denn auf einmal so nett zu Christian? Dabei war sie doch nicht einmal betrunken.
    »Das ist lieb von dir.« Er lächelte dankbar. »Und wahrscheinlich hast du sogar Recht. Aber ich kann das mit Bonn nicht mehr absagen. Meiner Mutter geht es gesundheitlich nicht so gut, sie freut sich darauf, mich zu sehen.«
    »Hast du eigentlich Geschwister?«
    »Einen Bruder. Der lebt aber in Kuwait. Mein Vater ist vor ein paar Jahren gestorben.«
    »Oh weh. Da ist es natürlich extrablöd, dass es deiner Mutter nicht gut geht.«
    Er seufzte. »In dem Jugendheim, in dem ich meine Ausbildung gemacht habe, wird eine Stelle frei«, sagte er dann. »Die haben gefragt, ob ich wieder zurückkommen will.«
    »Und?«, fragte Julie.
    Er zuckte mit den Schultern.
    »Wenn du zurückgehst, wirst du es bereuen«, prophezeite sie ihm. »Du wirst dir dein Leben lang vorwerfen, dass du Hamburg nicht wenigstens eine Chance gegeben hast. Warte noch eine Weile. Ein halbes Jahr. Wenn du es nach einem halben Jahr immer noch total scheiße findest, darfst du zurück. Aber so lange musst du durchhalten.«
    »Wer sagt das?«
    »Ich sage das.«
    »Na, dann muss es ja wohl stimmen.«
    Sie grinste. »Mir kannst du vertrauen.«
    »Kann ich das?«, fragte er ernst.
    Sie zog eine Grimasse. »Ich fänd’s auf jeden Fall total schade, wenn du wieder nach Bonn abhauen würdest. Wir haben uns doch noch gar nicht richtig kennengelernt.«
    Er sah sie ungläubig an. »Echt? Stimmt das?«
    »Klar.« Und es stimmte wirklich, stellte sie selbst mit einer gewissen Überraschung fest. Wenn Christian jetzt einfach auszog und aus ihrem Leben verschwand, würde ihr etwas fehlen.
    »Na dann.« Er wies auf ihr Glas, das schon wieder leer war. »Noch einen?«
    »Nee. Keinen Kaffee mehr. Ich hab Hunger. Wie sieht’s bei dir aus?«
    »Ich könnte auch was vertragen.«
    »Dann komm. Ich zeig dir meinen Lieblingsitaliener. Wenn du da mal gegessen hast, willst du nie wieder zurück nach Bonn.«
    Nach dem Essen ging Julie in der Boutique vorbei. Der Samstag war eigentlich ihr freier Tag, aber sie hatte am Tag zuvor ihre Jacke im Laden liegen lassen.
    »Gut, dass Sie kommen«, ächzte Renate, kaum dass sie durch die Tür war. »Hier ist die Hölle los, einer allein kann das gar nicht schaffen.« Sie sah Julie so vorwurfsvoll an, als sei sie schuld daran, dass Renate so viel zu tun hatte. War sie ja auch.
    »Ich kann jetzt aber nicht«, meinte Julie. »Ich hab gleich noch eine Verabredung.« Die Verabredung hatte sie mit ihrem Sofa und dem Fernseher und einer Tüte Gummibärchen, aber so genau musste Renate das nicht wissen.
    »Bitte, Julie«, sagte Renate. »Sie können mich doch jetzt nicht hängen lassen.«
    Dabei versuchte sie eine voluminöse Steppweste in eine Papiertüte zu stopfen. Die Weste quoll aber immer wieder heraus wie Hefeteig aus einer zu kleinen Schüssel.
    »Geben Sie mal her.« Julie hielt die Tüte auf, Renate stopfte von oben, die Kundin nahm ihre Einkäufe entgegen und ging, aber hinter ihr warteten bereits zehn andere darauf, bedient zu werden.
    Als Julie den Laden verließ, war es acht und ihr Schädel dröhnte, als ob sie zwei Flaschen Wein getrunken hätte.
    Eigentlich war sie noch mit Joe und Esther im Womb verabredet, einem neuen Club auf der Reeperbahn. Sie hatte sogar mit dem Gedanken gespielt, Christian zu fragen, ob er mitkommen wolle. Aber jetzt war an Ausgehen nicht mehr zu denken. Nach Hause und aufs Sofa und das so schnell wie möglich, das war die einzige Option. Sie schrieb Joe eine SMS und nahm ein Taxi.
    Als sie an Christians Wohnung vorbeiging, hörte sie Musik. Ob er Besuch hatte? Vermutlich nicht. Er kannte doch hier keinen Menschen. Außer seinen schwer erziehbaren Jugendlichen. Und Julie. Ich hätte mich mehr um ihn kümmern sollen, dachte sie, während sie mit bleischweren Beinen Stufe um Stufe erklomm.
    Dann schüttelte sie den Kopf über sich selbst. Vor zwei Wochen hatte sie Angst gehabt, dass Christian ihr ständig am Rockzipfel hängen würde. Nun wollte er wieder zurück zu Muttern und das passte ihr auch nicht.
    Vor ihrer Wohnungstür wühlte sie in ihrer Tasche nach dem Schlüssel und fand ihn nicht. Sie brauchte ihn auch gar nicht, stellte sie plötzlich fest. Die

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