Morgen wirst du sterben
sie, aber er muss und steigt in sein Auto und fährt weg.
Du Scheißkerl!, schreit Mama und heult noch lauter, bis Frau Franz aus dem Fenster guckt.
Glotz doch nicht so, du Funzel!, schreit Mama, dann nimmt sie mich an die Hand und reißt mich weg. Wir gehen nicht in die Wohnung, weil da wahrscheinlich die Männer auf uns warten. Wir gehen zu Resi, das ist eine Freundin von Mama, die hat eine Art Hotel. Da können wir schlafen.
5
Renate Koch war hochzufrieden. Julie hatte an ihrem ersten Arbeitstag in der Boutique bereits zwei Blusen, eine Strickjacke, drei Röcke und einen Seidenschal verkauft. Obwohl es gerade einmal Mittag war. Und obwohl nur drei Kundinnen den Laden betreten hatten. Alle drei hätten ihn auch wieder verlassen, ohne irgendetwas zu erstehen, wenn Julie genauso tatenlos wie Renate hinter dem Ladentisch stehen geblieben wäre, die Mundwinkel zu einem vornehmen Lächeln verzogen, der Blick resigniert.
Aber Julie war nicht stehen geblieben, sondern auf die Kundinnen zumarschiert. Zu Renates Entsetzen hatte sie der ersten Dame das grüne Wolltop, das diese aus dem Regal genommen hatte, gleich wieder aus der Hand genommen.
»Grün ist nichts für sie. Viel zu kalt. Wenn ich Ihnen etwas vorschlagen darf, nur mal so als Idee …« Die olivgrüne Bluse, die sie der Kundin dann präsentierte, gefiel tatsächlich. Das gleiche Stück gab es auch in Rotbraun, ebenfalls eine schmeichelhafte Farbe. Und nachdem Julie einen Berg von passenden Röcken, Hosen und Accessoires zur Umkleidekabine geschleppt hatte, entschied sich die Dame, die bis zu diesem Tag noch nicht einmal ein Taschentuch bei Renate gekauft hatte, für drei Teile im Wert von 369 Euro und 97 Cent. Während Renate die Kreditkarte durch den Schlitz des Lesegeräts zog und die Sachen in Seidenpapier einschlug, stürzte Julie sich bereits auf die nächste Kundin.
Um eins begann Renates Magen laut zu knurren.
»Wenn Sie möchten, können Sie gerne Pause machen«, bot Julie an, so als wäre sie die Chefin und nicht Renate. »Dafür mach ich dann früher Schluss.«
»Sind Sie sicher? Es ist doch Ihr erster Tag …«
»Kein Problem.« Julie fragte sich, wie Renate es geschafft hatte, ihr Geschäft fünf Jahre lang über Wasser zu halten, so dilettantisch, wie sie sich anstellte.
Als sie weg war, sammelte Julie die herumliegenden Klamotten wieder ein, faltete sie zusammen und legte sie zurück in die Regale. Danach arrangierte sie die Fächer neu, kombinierte düstere Farben mit leuchtenden und helle mit dunklen und achtete darauf, dass die verschiedenen Materialien besser zur Geltung kamen.
Inzwischen hatte sie allerdings ebenfalls Hunger. Sie überlegte, ob sie den Laden kurz abschließen sollte, um in die Bäckerei auf der anderen Straßenseite zu laufen. Aber ehe sie sich dazu entschließen konnte, kam neue Kundschaft.
Weil Julie gerade ein Bodenregal einräumte, sah sie zuerst die Schuhe. Ausgelatschte Sneakers. Darüber verwaschene Jeans, darüber ein Karohemd. Das war kein Kunde.
»Hi. Störe ich?«, fragte Christian. Er hob eine Papiertüte in die Höhe. »War gerade beim Bäcker und wollte mal sehen, wann du Pause hast. Aber wenn es jetzt nicht passt …«
Essen! Julies Magen knurrte gierig. »Was hast du denn da drin?«
»Nur ein Sandwich mit Käse, Gurke, Tomaten und Salat. Wenn du so was magst.«
»Perfekt!«
»Bist du allein?« Sein Blick glitt suchend durch den Laden.
»Ja. Die Inhaberin macht Pause. Läuft super hier. Ich hab toll verkauft.«
»Klasse.« Er runzelte die Stirn. »Scheußliches Zeug hier, oder?«
Julie zuckte mit den Schultern. »Eher so die klassische Linie. Nicht mein Fall.« Allerdings hätte sie sich die meisten Teile auch nicht leisten können.
»Na, von Mode versteh ich gar nichts.«
Christian trat von einem Fuß auf den anderen. Worauf wartete er denn jetzt? Dass sie ihm einen Kaffee anbot? Das konnte er vergessen. Wenn Renate aus der Pause zurückkam und diesen abgerissenen Typ im Laden sah, war Julie den Job sofort wieder los.
»Du hast doch heute auch deinen ersten Tag gehabt«, fiel ihr plötzlich ein. »Wie war’s denn bei dir?«
»Das Jugendzentrum ist ganz in Ordnung. Natürlich nicht so chic wie hier.«
»Nee, klar.« Sie trat an ein Regal, nahm einen Pullover heraus, faltete ihn neu und legte ihn dann wieder zurück. »Hör mal, ich muss hier noch ein bisschen aufräumen …«
»Ich dachte, wir können vielleicht zusammen essen …«
Sie lächelte bedauernd. »Das ist gerade
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