Morgenrötes Krieger
selbst bist keineswegs kindlich in deiner Art. Das bringt mich in Verlegenheit.“
„Es wäre mehr als unehrlich, wenn ich nicht zugeben würde, daß ich dich trotz unserer Unterschiede äußerst begehrenswert finde“, sagte Han nach einigem Zögern .
Liszendir hatte ihre Mahlzeit beendet. Sie lehnte sich in den Stuhl zurück, streckte sich anmutig, wobei ihr Blick etwas Herausforderndes bekam. Im gedämpften Licht der Sterne und Instrumente war ihre Gestalt plöt z lich von ausdrucksvoller Schönheit. Han konnte seine Gedanken nicht von dem glatten, haarlosen Körper unter der schlichten Bekleidung abwenden.
Mit sanfter Stimme, die er in dieser Art von ihr noch nicht vernommen hatte und die phantastisch zu diesem tiefgründig - liebreizenden Gesicht mit seinem weichen und hingebungsvollen Mund paßte, sagte sie: „Ja, ich weiß, und ich habe das gleiche für dich empfunden. Es macht mir Angst, denn ich weiß sehr gut, daß es rein körperlich möglich wäre; dennoch wird im allgemeinen davon abgeraten – zu Recht, da unsere Ausdauer in di e sem Punkt von eurer stark verschieden ist: wir können es viele Male tun; deshalb ist es besser, wenn man es läßt, trotzdem – du bist ein recht attraktiver Mann, auch wenn du etwas zu sehr behaart bist.“ Sie lachte kurz auf, wurde dann aber sogleich wieder nachdenklich-kühl.
Nach längerem Schweigen sagte sie mit leiser Stimme: „Du darfst mich nicht berühren, wenn wir beide in einer solchen Stimmung sind. Unser Verlangen nach Verein i gung ist bis zur Unfruchtbarkeit sehr stark, stärker als bei euch. Ich habe seit längerem keine Liebe mehr gemacht, mein Bedürfnis ist sehr groß. Und wir beide, du und ich, sollten es lieber nicht versuchen, Han!“
Sie erhob sich und wandte sich zum Gehen. „Es ist Zeit für die Wachablösung. Ich werde noch meine Übu n gen machen und dann schlafen gehen.“
Als sie an der Tür stand und gerade den Raum verla s sen wollte, meinte Han: „Noch eines – du hast mir nie erzählt, was dein Name bedeutet.“
Sie drehte sich überrascht um. „Du weißt nicht, was du da fragst. Aber es ist kein Geheimnis. Wortwörtlich b e deutet er ‚die samtdurchwebte Nacht’. Ein ‚Liszendir’ ist eine besondere Art von Himmel … so, wenn der Nach t himmel sehr klar ist und nur wenige feine Zirruswöl k chen ihn bedecken … ein hauchdünner Schleier, ang e strahlt vom Sternenlicht . Normalerweise ein Himmel wie im Winter, den wir nur ab und zu auch im Sommer h a ben.“
Han zuckte verblüfft mit den Achseln. „Gut, das ist wenigstens ein kleiner Fortschritt. Nun kennen wir uns ein wenig besser.“
Liszendir schaute ihn mit einem unergründlichen Blick an und machte eine abwehrende Bewegung. „Es gibt keinen Fortschritt. Es gibt nur stete Veränderung.“ Sie verschwand durch die Tür.
3.
Vor allem aber Theorien, Prinzipien oder Ideen haben die hervorragende Eigenschaft und Fähigkeit, den Geist in Ketten zu legen.
Kommentare der vierzehn Weisen,
V l, Ch3, Suntrev 15
Der Rest ihrer Reise nach Chalcedon verstrich in zuvo r kommender Zurückhaltung. Dennoch gab es zwischen ihnen etwas Ungeklärtes und Ungelöstes, etwas, das u n ter anderen Umständen keinerlei Probleme gemacht hä t te.
Han, amüsiert und verwirrt über seine eigenen Rea k tionen, dämpfte sein wachsendes Interesse an Liszendirs starker Sinnlichkeit, indem er sich unter anderem einen Vollbart wachsen ließ, der – wie er glaubte – die Sache für sie beide leichter machte. Zuerst wuchs er sehr lan g sam, aber mit der Zeit wurde er dichter und bekam eine zunehmend seidenweiche Struktur. Er war fast schwarz, dunkler jedenfalls als seine dunkelbraunen Haare, zudem machte es ihm Spaß, viel Zeit für seine Pflege aufzuwe n den.
Wie er erwartet hatte, zeigte sich Liszendir wenig d a von angetan; ihrer eigenen Rasse wuchsen keine Bärte; tatsächlich fehlte ihnen bis auf die Augenbrauen jegliche Körperbehaarung, eine Feststellung, die ihn stets veru n sicherte und verwirrte, wenn er mit dem Gedanken einer eventuellen Liaison mit dem Ler-Mädchen spielte. Wie mochte das sein? Vielleicht so wie mit einem Kind? Nein, er bezweifelte das stark, sobald er ihre wissenden, weisen Augen und ihre Art, sich zu bewegen, sah.
Umgekehrt versuchte sie alles, um beschäftigt und vö l lig asexuell zu wirken – es war gänzlich unmöglich; es war fast so, als wenn ein Kaninchen versuchen wollte, einen Widerwillen gegen frisches Gemüse vorzutäuschen. Bisher
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