Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung
kleine Kerl hing schon halb über Bord und angelte verbissen nach dem Ruder. Instinktiv ergriff Rose seine Beine. «Halt fest, Tante Rosie», sagte er, «ich glaube, ich hab’s gleich.»
Sie konnte sehen, wie seine ausgestreckten Finger das Ruder fast berührten. Die tanzenden Wellen spülten es nahe heran. Gaylords Finger berührten gerade das Holz, als Tante Rose den Griff lockerte und er fast ins Wasser gefallen -wäre. Aber nur fast. Seine Finger hatten dabei dem Ruder einen Stoß versetzt. Es trieb wieder ab.
«Verdammtes Pech, alter Junge», sagte Mr. Grebbie.
Aber Gaylord war wütend. «Tante Rosie hat mich losgelassen», sagte er, «grade, als ich es beinahe hatte.» Diese Weiber!
«Ich hab nur versucht, dir ein bißchen mehr Spielraum zu geben», sagte Rose.
Grebbie meinte kläglich: «Rose, was mußt du nur von mir denken! Ich bin wirklich der Letzte, der mit so einer Situation fertig wird, der Letzte, dem man ein Boot anvertrauen sollte, wie sich herausstellt.»
«Da kann man halt nichts machen», sagte Rose. «Es wird uns schon irgendeiner auflesen, ehe die Nacht hereinbricht.»
«Das glaube ich nicht», sagte Gaylord. «Wir sind ja Meilen vom Land entfernt.»
Sie warteten. «Das Ruder ist gar nicht mehr zu sehen», sagte Gaylord.
Sie warteten. Sie schrien im Chor. Sie banden Gaylords Hemd ans Ruder und winkten damit. Nichts geschah. «Ich glaube, ich kann schon Irland sehen», sagte Gaylord.
Die Zeit verging. Vier Uhr. Erde und Meer, Wolken und Himmel verschwammen im späten Nachmittagslicht. Die Brise wurde bereits etwas kühler. «Ich kann mir nicht denken, daß wir jetzt noch gerettet werden», stellte Gaylord vergnügt fest.
Rose hätte das nicht gleichgültiger lassen können. Sie lehnte in Stans Arm und lächelte zu ihm auf, der ein besorgtes, ängstliches Gesicht machte. «Mach dir nichts draus, Stan», lachte sie. «Wir werden schon nicht sterben, weißt du.»
Sie denkt ans Sterben, dachte Gaylord befriedigt. «Ist das ein Geier?» fragte er hoffnungsvoll und zeigte auf eine Möwe.
Um Viertel nach fünf wurden sie von dem vorwurfsvollen Bootsverleiher mit einem Motorboot eingeholt. Gaylord war außerordentlich enttäuscht. Er hatte auf einen Helikopter gehofft. Und außerdem waren alle Chancen dahin, daß sie unter sich auslosten, wer wen aufessen durfte. Langsam kam ihm die Erkenntnis, daß die Welt der Wirklichkeit es selten mit der Welt der Phantasie auf nehmen kann.
Nichtsdestoweniger hatte er jetzt etwas zu erzählen. Sobald sie an Land waren, sagte er höflich: «’tschuldigung, Mr. Grebbie, ich muß sofort gehen.» Dann verwandelte er sich in einen Jaguar und flitzte auf der Autobahn nach Hause.
Sie hätten eigentlich eine halbe Stunde vorher zu Hause sein sollen. Und sie hatten noch ein gutes Stück Weg vor sich. «Ob dein Freund warten wird?» fragte Rose.
Grebbie war todunglücklich. «Das nehme ich kaum an. Geduld ist nicht gerade seine Stärke.»
«Oh, fein», sagte Rose unwillkürlich.
Er sah sie verwundert an. «Immerhin sind unsere Plätze gebucht. Und wenn er nicht kurz nach fünf hier fortfährt, verpaßt er die Fähre.»
Es war ein milder Abend. Rose fühlte sich seltsam zufrieden, fühlte sich eins mit den Hügeln, mit dem Heideboden unter ihren Füßen und mit dem scheuen, liebenswerten Mann an ihrer Seite. Sie sagte: «Wolltest du mich nicht gerade etwas Wichtiges fragen, als uns das Ruder wegschwamm, Stan?»
Er schwieg. Dann sagte er bitter: «Du willst doch sicher nicht, daß ein solcher Blödian wie ich... diese Frage an dich richtet.»
Sie drückte ihren Kopf zärtlich gegen seine Schulter. «Doch Stan, doch.»
Fast brutal machte er sich los. Als wäre er auf sie ebenso böse wie auch sich selbst, sagte er: «Ich kann nicht erwarten, daß mich jemand heiraten möchte. Ich kann ja nicht mal für mich selber geradestehen, geschweige denn für eine
Frau.» Mit langen Schritten eilte er weiter, den Kopf gesenkt, die Hände in den Taschen geballt.
Verzweifelt rannte sie neben ihm her. «Aber ich bin bereit, das Risiko auf mich zu nehmen, bestimmt...» sagte sie, nervös lachend.
Er schüttelte schweigend den Kopf und sah auf seine Armbanduhr. «Ich lasse ja sogar meine Freunde im Stich.»
Sie wußte, daß mit ihm nichts anzufangen war, solange er sich dieser bitteren Selbstverachtung hingab. Hier halfen nur Geduld und Hoffnung, daß der Freund ohne ihn abgefahren war. Dann würde sie ihn schon in diesen zwei Wochen herumkriegen.
Als sie endlich in
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