Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition)
und Nevis’ Atem auf meiner Haut ist alles, was ich höre und spüre. Als er uns schließlich vereinigt, habe ich das Gefühl, als würde sich plötzlich das Licht der Sonne sichtbar auf dem Weiß des Schnees um uns herum brechen und es in allen Farben explodieren lassen.
Das Eis in Nevis‘ Augen zerbricht.
Für immer.
Ihr Himmelblau spiegelt nun mein Gesicht, wenn ich in sie hineinsehe.
ENDE
© Marcus Lieske
Jennifer Wolf lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in einem kleinen Dorf zwischen Bonn und Köln. Aufgewachsen ist sie bei ihren Großeltern und es war auch ihre Großmutter, die die Liebe zu Büchern in ihr weckte. Aus Platzmangel wurden nämlich alle Bücher in ihrem Kinderzimmer aufbewahrt und so war es unvermeidbar, dass sie irgendwann mal in eins hineinschaute. Als Jugendliche ärgerte sie sich immer häufiger über den Inhalt einiger Bücher, was mit der Zeit zu dem Entschluss führte, einfach eigene Geschichten zu schreiben.
Nicht genug bekommen?
Leseprobe aus Kim Kestners »Spiel der Vergangenheit«, dem ersten Band der Zeitrausch-Trilogie
Ich schrecke hoch, sitze kerzengerade und verschwitzt in meinem Bett. Etwas stimmt nicht. Etwas ist … anders!
Der penetrante Vogel im Apfelbaum scheint ausgeflogen zu sein, statt seiner macht sich ein ehrgeiziger Specht bemerkbar. Aber das ist es nicht. Meine linke Hand schmerzt, wahrscheinlich weil ich noch immer das Handy verkrampft festhalte. Mit dem Daumen massiere ich die Innenfläche, während ich mich in meinem Zimmer umsehe: der Holzstuhl mit der geflochtenen Sitzfläche, über dem einige Kleidungsstücke hängen, mein apfelgrüner Teppich mit dem ärgerlichen dunklen Fleck am Rand, den ich unter einem hoch getürmten Magazinstapel verstecke. Den Fleck habe ich natürlich Jeremy zu verdanken oder genauer gesagt: seiner Kakao-Vorliebe. Eigentlich hat mein Bruder nichts in meinem Zimmer zu suchen, trotzdem nutzt er jede Gelegenheit dazu rumzuschnüffeln und sein Spielzeug hereinzuschleppen. Seit er letzten Monat mein Tagebuch gelesen hat, trägt es zur Sicherheit ein Schloss. Außerdem steckt es jetzt zwischen meinen Schulbüchern, die er mit Gewissheit nicht anfasst. Sie stehen neben einigen gerahmten Familienfotos von uns auf dem Schreibtisch.
Alles scheint unverändert. Aber die Zahl auf dem Wecker ist eine andere: kurz nach acht. Da wird mir klar, was mich hat hochschrecken lassen: Es ist viel zu still für diese Zeit.
Schläft Jeremy noch? Oder streift er schon wieder durch den Wald, mit dem sinnlosen Versuch beschäftigt, ein Eichhörnchen zu fangen? Verrückt!
Aus dem Untergeschoss höre ich Geschirr klappern. Mum deckt den Tisch, was sie nur tut, wenn auch Dad zu Hause ist und Zeit für ein gemeinsames Frühstück bleibt. Einen Moment später zieht auch schon der Duft von Pancakes in mein Zimmer und ich schlüpfe schnell aus meinem Entenpyjama, streife mir nur Jeans und ein verwaschenes Shirt über, damit ich am Tisch bin, bevor Jeremy mir alles wegfuttert. Er kann Berge von Pancakes in Windeseile verdrücken.
Jede der Treppenstufen knarzt und obwohl ich unser altes Holzhaus liebe, würde ich manchmal gern mit Carissas traumhaftem Stranddomizil tauschen.
Unsere Küche ist altmodisch, aber gemütlich, und wie fast alles in unserem Haus aus Holz. Dad arbeitet in dem letzten verbliebenen Sägewerk von Mill Valley, und nicht selten stapeln sich krumme, zerspante oder sonst wie unbrauchbar gewordene Bretter auf seinem Pick-up, wenn er am Spätnachmittag den ausgefahrenen Waldweg zu unserem Haus heruntergerumpelt kommt. Er kann den Gedanken nicht ertragen, einer der gigantischen Redwood-Bäume sei umsonst gestorben. Daher verbringt er nicht selten seine Wochenenden im Schuppen, um irgendetwas aus den Holzabfällen zu bauen. So ist auch unsere Küche entstanden. Aber Mum hat sie am letzten Wochenende bunt angestrichen, weil sie meinte, kein naturbelassenes Holz mehr sehen zu können. Seitdem ist Dad noch wortkarger als sonst, und als ich in die Küche komme, sitzt er, eine aufgeschlagene Zeitung vor dem Gesicht, am Tisch und brummt: »Morgen.«
Ich drücke ihm einen Kuss auf die kahle Stirn. »Guten Morgen, Mops.«
Er schaut mich an und grinst. Ich schätze, Dad mag es, wenn ich ihn Mops nenne, auch wenn sein beachtlicher Bauch die Schuld an dem Namen trägt.
»Ist er immer noch stinkig?«, frage ich Mum und deute auf einen türkisfarbenen Schrank, aus dem sie gerade drei Teller nimmt.
»Kein Mensch kann immer nur braun sehen, erst recht
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