Morituri - Die Todgeweihten
die Kammer am anderen Ende, wo sie wieder stehen konnten. An einer Wand befanden sich, säuberlich in Regalen aufgestapelt, Kleidung für den Notfall, Ausrüstung und Waffen. Gleich daneben war der Ausgang. Die Luke ließ sich mittels eines Druckhebels leise zur Seite schieben. Von außen war alles kunstvoll mit Gestrüpp, Erdboden und Steinen getarnt. Der Tunnel endete im dichten Unterholz eines Wäldchens am Ufer des zugefrorenen Sees.
Sten suchte hastig die nötige Ausrüstung zusammen und bedeutete Mahoney, sich ebenfalls ein Paar A-Grav-Skier zu schnappen. Hinter ihnen erschütterte eine kleine Detonation den Tunnel; die Verfolger waren durch den Kamin gebrochen.
»Sie bewachen bestimmt auch dieses Ende«, sagte Mahoney.
»Das glaube ich auch«, sagte Sten. Er bestätigte den Hebel. Frische, eiskalte Luft strömte herein, als die Luke zur Seite glitt. Sie würde sich automatisch hinter ihnen schließen. Er drückte auf ein murmelgroßes Stück druckempfindlichen Sprengstoff unter dem Rand des Hebels und verwandelte den Ausstieg somit in eine hinterhältige Sprengmine.
»Sie finden sie«, sagte Mahoney.
»Weiß ich auch«, erwiderte Sten. »Aber es wird sie ein wenig aufhalten.«
»Vielleicht sollten wir –«
Sten schnitt Mahoney mit der erhobenen Hand das Wort ab. »Nichts für ungut, aber was Tunnels angeht, gibt es so gut wie nichts, was ich nicht weiß. Du hast bestimmt nicht vergessen, dass ich auf diesem Gebiet einige Erfahrung gesammelt habe.«
Mahoney verstummte. Sten hatte ein halbes Leben damit verbracht, sich aus dem Kriegsgefangenenlager von Koldyeze freizugraben.
Besser gesagt, als Big X, der Kopf des Fluchtkomitees, hatte er mehr getan, als nur zu graben.
»Und jetzt hilf mir mal«, sagte er.
Er zog die Plane von einer leicht veralteten Schneekatze herunter, deren Motor so umgebaut war, dass er Feststoffe verbrannte. Gemeinsam schoben sie sie zum Ausgang. Sten stellte die verschiedenen Schalter auf »An«, gab dem Navigator einen Zickzackkurs ein und riet Mahoney, zurückzutreten, während er den Motor anließ.
Die Maschine stieß eine gewaltige Rauchwolke aus. Mahoney hustete und nieste.
»Das heißt, wir schleichen uns nicht heimlich um sie herum«, sagte er trocken. Sten brachte ihn mit einem eisigen Blick zum Schweigen.
Dann legte er einen Gang ein und machte selbst einen Satz zur Seite. Die Schneekatze ruckte unter lautem Getöse einen Meter nach vorne und schoss dann wie ein geölter Blitz aus dem Tunnelausgang heraus. Sten blickte ihr aufmerksam nach. Die Ketten wirbelten riesige Schneewolken auf, und die Katze raste direkt auf einen Baum zu. Aus den Auspuffrohren schlugen wütende Funken, die in der Dunkelheit gespenstisch aussahen. Im letzten Augenblick schlug die Katze einen Haken. Laserfeuer durchzuckte die Nacht, und in der Verkleidung der Katze klafften einige Löcher.
»Jetzt!« rief Sten.
Er und Mahoney stürmten nach draußen. Sten hatte noch genug Zeit, um zu sehen, wie sich einer der verblüfften Jäger von der Katze wegdrehte und die Waffe hochriss.
Der Jäger zuckte zusammen, und ein sauberes Loch zeigte sich auf seiner Stirn. Als der Jäger zusammensackte, gab Mahoney noch einen Schuss auf den Gefährten des Mannes ab, der sich eilig zur Seite wegduckte. Bis er sich wieder aufgerichtet hatte, waren Sten und Mahoney auf und davon. Die Mantis-Agentin machte sich sofort an die Verfolgung und erteilte über ein Kehlkopfmikro mit heiserer Stimme Anweisungen an ihr Team im Innern der Kuppel. Sie fand die Spuren, die tiefer in den Wald führten.
Es war nicht schwer, diesen Spuren zu folgen. Im hellen Mondlicht hoben sie sich dunkel, fast blau, vom glitzernden Schnee ab.
Dann spürte sie etwas hinter sich. Sie richtete sich halb auf, riss die Waffe hoch und wollte sich zur Seite werfen. Da lag sie auch schon im Schnee; Blut sprudelte aus dem roten Grinsen in ihrem Hals.
Sten wischte seine Klinge an ihrer Uniformjacke ab.
»Liegt es daran, dass ich alt werde«, fragte er Mahoney, der hinter einem Baum hervortrat, »oder sind diese neuen Leute wirklich nicht mehr so schnell wie früher?«
Mahoney warf einen Blick auf die Leiche der Mantis-Agentin. Als ehemaliger Chef des Mercury Corps – dem auch Mantis angehörte –, beschlich ihn ein seltsames Gefühl, eine seiner Ex-Untergebenen in einem derartigen Zustand vor sich liegen zu sehen. Dann sah er Sten an. Er war ein wenig älter geworden, einige vereinzelte tiefe Furchen hatten sich in sein Gesicht gegraben;
Weitere Kostenlose Bücher