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Morland 01 - Die Rückkehr der Eskatay

Titel: Morland 01 - Die Rückkehr der Eskatay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schwindt
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Richtung drehte. Bevor er reagieren konnte, ertönte ein leises, schmatzendes Geräusch. Myriaden der kleinen Lichtpunkte wurden he rausgeschleudert. Juri wollte zurückweichen, aber es war zu spät.
    Der glühende Staub brannte ihm im Hals und wanderte hinunter in die Lunge. Juri gab ein würgendes Geräusch von sich. Er wollte sich über das Gesicht wischen, hielt aber inne, als dünnflüssiges, helles Blut von seiner Nase in seine Handfläche tropfte. Keuchend stolperte er zurück, trat dabei auf sein verletztes Bein und brach zusammen.
    Krämpfe durchzuckten ihn. Etwas arbeitete sich zu seinem Gehirn vor, und als es schließlich oben angekommen war, konnte er endlich schreien, so lange und so laut, bis seineStimmbänder keinen Ton mehr hervorbrachten. Das war also der Tod, dachte er, bevor er das Bewusstsein verlor.
    Doch Juri täuschte sich. Auch wenn er glaubte, an diesem gottverlassenen Ort elend zu verrecken, sollte das nicht das Ende sein.
    Es war erst der Anfang.

Zehn Jahre später
    »ACH-TUNG«, bellte die Stimme über den Hof. Die Kinder, alle gekleidet in den grauen Drillich der Anstaltsuniform, nahmen eine straffe Haltung an und schlugen die Hacken zusammen. »AUGEN GERADEAUS !«
    Auf dem Hof des kommunalen Waisenhauses Nr. 9 war es jetzt so still, dass man die Vögel zwitschern hören konnte. Tess schaute natürlich nicht zum Direktor, der vor ihnen auf einem Podest stand, sondern verdrehte die Augen zum blauen Himmel, an dem einige weiße Wolken wie Boten aus einer besseren Welt dahinzogen. Die Ansprache bei einer Bestrafung war immer dieselbe, Tess konnte sie schon mitsprechen: Ihr werdet von der Gesellschaft behütet, gekleidet und genährt.
    »Ihr werdet von der Gesellschaft behütet, gekleidet und genährt ...«
    Wer die Gemeinschaft bestiehlt, der schlägt die Hand, die sich kümmert, sagte Tess in Gedanken.
    »Wer die Gemeinschaft bestiehlt, der schlägt die Hand, die sich kümmert ...«, rezitierte die Stimme und es klang fast wie ein Schluchzen. Gott, Direktor Visby war solch ein schlechter Schauspieler. Niemand nahm dem selbstgefälligen Sadisten, der aussah wie die menschliche Version eines Ziegenbocks, diese jämmerliche Leidensnummer ab.
    »Und das können wir nicht dulden, wenn wir verhindern wollen, dass diese Gemeinschaft Schaden an ihrer Seele nimmt.«
    Hoppla, hatte er etwa den Text verändert? Normalerweise wäre jetzt Auge um Auge, Zahn um Zahn gekommen. Aber Schaden an der Seele nehmen war auch nicht schlecht.
    »Auge um Auge, Zahn um Zahn!«
    Ah, also doch. Ja, der alte Visby wusste, was er seinem Publikum schuldig war. Immer schön die Erwartungen erfüllen, sonst hatten Bestrafungen wie diese keinen festigenden Einfluss auf die allgemeine Moral. Jetzt wurde ein Junge nach oben geführt und so über einen Bock gelegt, dass er ihnen sein blankes Hinterteil entgegenstreckte. Direktor Visby ließ die Reitpeitsche durch die Luft zischen.
    »Egino Flemming, du hast heute in der Küche einen Apfel gestohlen und bist deswegen von mir zu fünf Peitschenhieben verurteilt worden.«
    Tess hob die Augenbrauen. Visbys Frau hatte heute wohl ein Stück Zucker zu wenig in seinen Tee getan. Normalerweise bekam man bei solchen Vergehen wie dem Diebstahl eines Apfels höchstens die Weidenrute zu spüren. Die Peitsche gab es eigentlich nur bei schweren Verstößen gegen die Schulordnung.
    Der Direktor wandte sich jetzt an die versammelten Kinder und gab ihnen ein Zeichen. »Auf dass ihm jeder Hieb eine Lehre sein mag.«
    »Eins!«, kam es aus hundert Kehlen.
    Die Peitsche zischte durch die Luft und es gab ein helles Klatschen. Egino schrie nicht. Er kannte die Prozedur, verkniffsich also jede Äußerung, obwohl man sich nie so ganz an die Schläge gewöhnte. Tess tat er jedenfalls nicht leid. Egino war ein Dummkopf. Er hatte gewusst, was er tat, und er liebte es, auf der Rasierklinge zu reiten. Nun, manchmal schnitt man sich. So war das Leben in einem Waisenhaus eben.
    »Zwei«!
    Die Peitsche zischte erneut. Eginos Hintern zuckte noch nicht einmal. Tess befürchtete, dass er es auf die Spitze trieb. Ein wenig musste er Visby schon entgegenkommen, sonst würde die Bestrafung das nächste Mal noch härter ausfallen. Es gab ein ausgefeiltes Ahndungssystem für Regelverstöße. Drei Monate Karzer bei Wasser und Brot wurden verhängt, wenn man wirklich etwas Übles ausgefressen hatte. Einen Lehrer beschimpfen zum Beispiel. Besonders die Neuzugänge, die noch das Leben in richtigen Familien kannten,

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