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Morland 01 - Die Rückkehr der Eskatay

Titel: Morland 01 - Die Rückkehr der Eskatay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schwindt
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der Schule, herrschte striktes Redeverbot, das Gleiche galt für die Arbeitsstunden am Nachmittag. Um neun Uhr am Abend war Bettruhe angesagt, wobei sich die Schlafsäle – natürlich nach Geschlechtern getrennt – am jeweils entgegengesetzten Ende des Hauptgebäudes befanden.
    Das Refektorium war ein holzgetäfelter, lang gezogener Raum, an dessen Kopfende sich der erhöhte Tisch der Heimleitung befand. Das bleigefasste Glas der Fenster war über die Jahre so trübe geworden, dass zu jeder Mahlzeit die Gasbeleuchtung entzündet werden musste.
    »Hast du das Flugblatt gelesen?«, fragte Egino aufgeregt, als er mit Tess in der Schlange vor der Essensausgabe stand. Sie nickte.
    »Und?«
    »Und was ?«
    »Was hältst du davon?«
    Tess hielt der Küchenhilfe das Tablett entgegen, die ihr mit einer großen Schöpfkelle etwas auf den Teller lud, was wie zäher Haferbrei aussah.
    »Ich habe noch nie etwas von einer Armee der Morgenröte gehört«, flüsterte sie, als sie sich aus einem Korb zwei Scheiben Brot nahm.
    »Das hat nichts zu bedeuten. Du weißt, wie sehr wir hier drin abgeschottet werden. Wenn es nach dem alten Visby ginge, würden wir schließlich immer noch glauben, die Erde sei eine Scheibe.«
    Sie setzten sich an den Tisch, Egino vorsichtiger und steifer als Tess. Er schien wirklich Schmerzen zu haben.
    »So, wie es ist, kann es jedenfalls nicht weitergehen«, fuhr er fort. »Das, was sich hier abspielt, ist ein Spiegelbild der Verhältnisse draußen.« Er zeigte auf den Tisch der Heimleitung, von dem der Duft von gegrilltem Fleisch zu ihnen herüberzog. Nur einmal im Jahr, zum Nationalfeiertag, bekamen die Kinder einen Braten auf den Teller. An allen anderen Tagen gab es eine ähnlich karge Kost wie heute. »Während wir diesen Fensterkitt herunterwürgen müssen, können Visby und Konsorten ihre Zähne in einen Schinken schlagen. Und zwar jeden Tag! Findest du das etwa gerecht?«
    Tess stocherte stumm in ihrem Brei herum.
    »Ich habe schon mit den anderen gesprochen. Sie sind dabei.«
    »Wer?«, fragte Tess misstrauisch.
    »Arvo, Bjarne und die anderen, du weißt schon«, sagte Egino mit einer ungeduldigen Handbewegung.
    Ja, Tess wusste allerdings, wen Egino meinte. Sie gehörten zu den üblichen Verdächtigen, wenn es darum ging, ohne Sinn und Verstand Unruhe zu stiften. Auf der anderen Seite konnte man vom Rest der Heiminsassen nicht viel erwarten. Sie waren folgsam wie Lämmer. Und doch: Mit einem richtigen Leitwolf würden sie vielleicht zu einem gefährlichen Rudel werden.
    »Wie sieht dein Plan aus?«
    »Wir werden uns keine direkte Aktion leisten können, dazu sind wir zu schwach.«
    »Was meinst du mit einer direkten Aktion?«
    »Na ja, das Büro des Direktors besetzen oder das Personal in den Karzer sperren. So was in der Art. Aber jeder gewaltsame Aufruhr würde der Heimleitung die Gelegenheit bieten, mit aller Macht zurückzuschlagen.«
    Tess schaute Egino überrascht an, denn vernünftige Einsichten wie diese waren sonst nicht seine Stärke.
    »Außerdem hat es Visby immer wieder geschafft, ein Gemeinschaftsgefühl zu unterbinden. Wir können also nur hof fen, dass die Masse unserem Beispiel folgt und mitzieht, auch wenn wir nicht wissen, wem wir trauen können.«
    »Das ist eine ziemlich dürftige Grundlage für einen Streik«, gab Tess zu bedenken.
    »Irgendeiner muss den Anfang machen.«
    »Ich frage ungern noch einmal, aber wie sieht denn jetzt dein Plan aus?«
    »Ganz einfach: Wir werden nichts tun.«
    Tess musste lachen. »Na toll. Du bist ja ein großartiger Stratege.«
    »Warum? Das ist doch der Kern eines Streiks. Wir weigern uns zu arbeiten und schauen, was geschieht.«
    Tess schüttelte den Kopf. »Das ist mir zu windig.« »Also bist du nicht mit dabei?«
    »Nein.«
    Egino nickte bedächtig. »Ja. Ich verstehe«, sagte er und die Enttäuschung war deutlich in seiner Stimme zu hören. »Du hast schließlich am meisten zu verlieren, nicht war? Deine Arbeit in der Bibliothek und all die anderen kleinen Freiheiten, die du dir so mühsam erarbeitet hast.«
    Tess hieb wütend mit ihrem Löffel in den Haferbrei. »Quatsch, darum geht es mir doch gar nicht. Wenn es dir gelingt, etwas wirklich Überzeugendes auf die Beine zu stellen, mache ich sofort mit.«
    Egino stand auf. »Du könntest mir ja dabei helfen, aber du hast Angst, etwas für andere zu riskieren. Aber weißt du was? Der Baum, der sich dem Wind nicht beugt, wird im Sturm gefällt.« Mit diesen Worten ließ er sie sitzen.
    Tess

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