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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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hatte, bis ihre Haut fast blutig
war.
    Percy
hielt ein Streichholz zwischen Daumen und Zeigefinger. Schaute durch das
Streichholz hindurch, sah jedoch nichts. Es fiel wieder auf den Boden.
    Er war
wirklich schwer gewesen.
    Sie hatte
schon viele Leichen angehoben, gemeinsam mit Dot; sie hatten Leute aus
zerbombten Häusern gerettet, sie in den Krankenwagen geladen und ins Lazarett
geschleppt. Sie wusste, dass die Toten mehr wogen als die Freunde, die sie zurückließen.
Aber das hier war anders gewesen. Er war wirklich schwer gewesen.
    Sie hatte
gewusst, dass er bereits tot war, als sie ihn aus dem Graben gezogen hatte. Ob
er durch den Schlag gestorben oder im schlammigen Wasser erstickt war, konnte
sie nicht sagen. Aber er war schon tot gewesen, das wusste sie. Sie hatte noch
versucht, ihn wiederzubeleben, aber eher aus Instinkt, Hoffnung hatte sie
nicht. Sie hatte alles versucht, was man ihr im Lazarett beigebracht hatte. Und
es hatte geregnet, und darüber war sie froh gewesen, denn so konnte sie ihre
verdammten Tränen leugnen, die ihr in die Augen getreten waren.
    Sein
Gesicht.
    Sie
schloss die Augen, presste sie fest zusammen; sie sah es immer noch vor sich.
Wusste, sie würde es immer wieder sehen.
    Sie ließ
die Stirn auf die Knie sinken, und der feste Kontakt verschaffte ihr ein
bisschen Erleichterung. Die Härte der Kniescheibe, ihre kühle Gewissheit, als
sie sie gegen ihr heißes Gesicht drückte, beruhigte sie; fast wie der Kontakt
mit einem anderen Menschen, einer Person, die besonnener war als sie selbst,
älter und klüger und besser dafür geeignet, die vor ihr liegenden Aufgaben zu
bewältigen.
    Denn es
würden viele Dinge auf sie zukommen. Sie würde der Familie einen Brief
schreiben müssen. Aber was sie ihnen mitteilen würde, wusste sie noch nicht.
Jedenfalls nicht die Wahrheit. Dafür waren sie zu weit gegangen. Es hatte einen
ganz kurzen Augenblick gegeben, in dem sie sich hätte anders verhalten können.
Sie hätte Inspector Watkins anrufen und ihm den ganzen Schlamassel darlegen
können, aber das hatte sie nicht getan. Was hätte sie ihm auch sagen sollen?
Dass es nicht Saffys Schuld gewesen war? Also musste ein Brief an die Familie
des Mannes geschrieben werden. Percy war keine Geschichtenerzählerin, aber Not
macht bekanntlich erfinderisch, und sie würde sich schon etwas einfallen
lassen.
    Sie hörte
ein Geräusch und zuckte zusammen. Jemand war auf der Treppe.
    Percy
versuchte ihre Fassung wiederzugewinnen und wischte sich mit der Hand über die
nassen Wangen. Wütend auf sich selbst, auf ihn, auf die Welt. Auf jeden außer
auf ihre Zwillingsschwester.
    »Ich habe
sie wieder ins Bett gesteckt«, sagte Saffy, als sie hereinkam. »Du hattest
recht, sie war aufgestanden und fürchterlich ... Perce?«
    »Ich bin
hier hinten.« Ihre Kehle schmerzte vor Anspannung.
    Saffys
Kopf erschien über dem Tisch. »Was machst du denn da unten ... Ach Gott,
Liebes, komm, ich helfe dir.«
    Während
Saffy neben ihr hockte, die restlichen Streichhölzer einsammelte und sie in die
Schachtel tat, versteckte Percy sich hinter ihrer noch nicht angezündeten
Zigarette und sagte: »Sie ist wieder im Bett?«
    »Ja. Sie
war aufgestanden - die Tabletten sind wohl nicht so stark, wie wir gedacht
haben. Ich habe ihr noch eine gegeben.«
    Percy rieb
an dem Schlammflecken an ihrem Handgelenk und nickte.
    »Sie war
vollkommen außer sich, die Ärmste. Ich habe mir größte Mühe gegeben, sie davon
zu überzeugen, dass alles gut werden wird, dass der junge Mann nur aufgehalten
worden ist und morgen ganz bestimmt kommt. So ist es doch, nicht wahr, Percy?
Er wird doch kommen? Perce? Was ist los? Warum kuckst du so komisch?«
    Percy
schüttelte den Kopf.
    »Du machst
mir ja richtig Angst.«
    »Ganz
bestimmt kommt er morgen«, antwortete Percy und legte ihrer Schwester eine Hand
auf den Arm. »Du hast recht. Wir müssen nur Geduld haben.«
    Saffy war
offensichtlich erleichtert. Sie reichte Percy die volle Streichholzschachtel
und nickte zur Zigarette in Percys Hand. »Hier hast du sie, du wirst sie
brauchen, wenn du die alle rauchen willst.« Sie stand auf und strich sich das
zu enge grüne Kleid glatt. Percy musste sich beherrschen, Saffy das Kleid nicht
vom Leib zu reißen, zu weinen und zu klagen und zu zerstören. »Du hast
natürlich recht. Wir müssen Geduld haben. Juniper wird es morgen früh schon
wieder besser gehen. In der Zwischenzeit sollte ich vielleicht den Tisch
abräumen.«
    »Das ist bestimmt
das

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