Morton, Kate
sich sofort
wieder aufgerafft, die Hand über die Augen gelegt, um den Feind besser
einschätzen zu können, und dann die Mauer mit größtmöglicher Entschlossenheit
erneut in Angriff genommen.
Niemals
aufgeben, wie sein Offizier geschrien hatte, als sie sich ihren Weg
quer durch Frankreich gekämpft hatten. Niemals aufgeben.
Endlich
gelang es ihm, sich auf das Fenstersims hochzuziehen. Zum Glück konnte er sich
in einem Spalt zwischen zwei Steinen, wo der Mörtel herausgebrochen war, mit
einem Fuß abstützen. Das Licht aus dem Zimmer war ein Segen, und Tom brauchte
nicht lange, um festzustellen, dass der Fensterladen nicht so einfach zu
befestigen war.
Er war so
auf seinen Kampfeinsatz fixiert gewesen, dass er dem Zimmer hinter dem Fenster
keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Als er jetzt hineinschaute, bot sich
ihm eine Szenerie vollkommener Behaglichkeit. Eine hübsche Frau, die neben
dem Kamin schlief. Zuerst hielt er sie für Juniper.
Aber die
Frau zuckte zusammen, und ihre Gesichtszüge spannten sich an, und im selben
Moment begriff er, dass er nicht Juniper vor sich sah, sondern eine ihrer
Schwestern. Das musste Saffy sein, vermutete er; die mütterliche Schwester, die
nach dem Tod von Junipers Mutter an deren Stelle getreten war und sie
großgezogen hatte; diejenige, die unter Panikattacken litt und es nicht
schaffte, das Schloss zu verlassen.
Während er
sie betrachtete, riss sie ganz plötzlich die Augen auf, und vor Überraschung
hätte er beinahe den Halt verloren. Ihre Blicke trafen sich.
Percy sah
den Mann am Fenster in dem Moment, als sie um die Ecke bog. Das Licht aus dem
Zimmer beleuchtete ihn; eine dunkle Gestalt, wie ein Gorilla, der die Wand hochkletterte,
sich an den Steinen festklammerte und in das gute Zimmer spähte. Das Zimmer, in
dem Saffy schlief. Percys Puls begann zu rasen. Ihr Leben lang war es ihre
Pflicht gewesen, ihre Schwestern zu beschützen. Sie umklammerte den hölzernen
Stiel des Hammers. Die Nerven zum Zerreißen gespannt, rannte sie auf den Mann
zu.
Schlammbedeckt
und wie ein Einbrecher durchs Fenster spähend, so hatte er sich den Schwestern
Blythe gewiss nicht präsentieren wollen.
Aber jetzt
war er gesehen worden. Er konnte nicht einfach hinunterspringen, sich
verstecken und so tun, als wäre nichts gewesen. Er lächelte zögerlich; hob die
Hand, um freundliche Absichten zu signalisieren, ließ sie aber wieder sinken,
als er bemerkte, dass sie ganz mit Schlamm bedeckt war.
O Gott.
Sie war aufgestanden, und sie lächelte überhaupt nicht.
Sie kam
auf ihn zu.
Die
groteske Situation hatte das Potenzial, zu einer besonders beliebten Anekdote
zu werden. »Erinnert ihr euch noch, wie wir Tom kennengelernt haben? Wie er,
von Kopf bis Fuß mit Schlamm bedeckt, am Fenster aufgetaucht ist und freundlich
gewinkt hat?«
Vorerst
blieb ihm nichts anderes übrig, als zuzusehen, wie sie langsam auf ihn zukam,
so als würde sie träumen. Sie zitterte, als würde sie so frieren wie er hier
draußen im Regen.
Sie hob
die Hand, um das Fenster zu entriegeln, während er nach erklärenden Worten
suchte, und dann nahm sie etwas von der Fensterbank.
Percy
blieb wie angewurzelt stehen. Der Mann verschwand. Vor ihren Augen war er
plötzlich ins Wanken geraten und auf die Erde gestürzt. Sie schaute zum Fenster
hoch; dort stand Saffy, zitternd, den Schraubenschlüssel in der Hand.
Ein harter
Schlag. Er begriff nicht, was es war. Dann Bewegung. Er fiel, plötzlich und
überraschend.
Dann lag
er auf dem Rücken.
Etwas
Kaltes an seinem Gesicht, Nässe.
Geräusche,
vielleicht Vögel, die schrien und kreischten. Er zuckte und schmeckte Schlamm.
Wo war er? Wo war Juniper?
Regentropfen
prasselten auf seinen Kopf, er spürte sie einzeln, wie eine Musik, so als
würden Saiten gezupft, die eine sonderbare Melodie spielten. Sie war
wunderschön, und er fragte sich, wieso er sie nicht kannte. Einzelne Tropfen,
perfekt, jeder einzelne. Sie fielen auf die Erde und sättigten den Boden,
sodass sich Flüsse bilden und Meere füllen konnten, und Menschen, Tiere,
Pflanzen zu trinken hatten ... Es war alles so einfach.
Er musste
an ein Unwetter denken, als er noch ein kleiner Junge gewesen war und sein
Vater noch gelebt hatte. Tom hatte Angst gehabt. Es war dunkel und laut
gewesen, und er hatte sich unter dem Küchentisch versteckt. Er hatte geweint,
die Augen zugekniffen und die Fäuste geballt. Er hatte so heftig geweint, und
sein eigener Kummer hatte ihm so laut in den Ohren
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