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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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nicht nachlässt, seit wir uns zum ersten Mal begegnet sind, hätte ich kaum ein Drama verfasst, noch dazu in Versen. Verliebtheit schafft in der Tat Wunder. Aber ich muss Sie w-warnen …«
    Hier unterbrach sie ihn, beunruhigt wegen seines »aber«.
    »Wie schön Sie das sagen!«, sagte Elisa erregt und griff nach seiner heißen Hand. »Nie spricht jemand so einfach und ernst mit mir. Ich kann Ihnen jetzt noch nicht antworten, ich muss mir erst über meine Gefühle klar werden! Schwören Sie, dass Sie immer so offen sein werden. Ich meinerseits verspreche Ihnen dasselbe!«
    Sie glaubte, Ton und Text richtig gewählt zu haben: Aufrichtigkeit, gepaart mit Zärtlichkeit, und offene, zugleich keusche Einladung zur weiteren Entwicklung der Beziehung. Doch er verstand sie anders. Er lächelte ironisch, nur mit den Lippen.
    »›Lassen Sie uns Freunde bleiben‹? Nun, mit dieser Antwort habe ich gerechnet. Ich gebe Ihnen mein Wort, ich werde Sie nie mehr mit sentimentalen G-Geständnissen behelligen.«
    »Aber so habe ich das doch nicht gemeint!«, rief Elisa besorgt. Dieser Stockfisch würde womöglich sein Wort halten, das sähe ihm ganz ähnlich. »Freunde habe ich auch ohne Sie genug. Wassja Prostakow, George Dewjatkin – er ist ein wenig tolpatschig, aber aufopferungsvoll und nobel. Aber das ist alles nicht … Ihnen gegenüber kann ich nicht absolut offen sein, sie alle sind auch Schauspieler, und das ist ein besonderer Menschenschlag …«
    Er hörte zu, ohne sie zu unterbrechen, und sah sie so an, dass Elisa ein ekstatisches Beben verspürte, wie in den größten Momenten auf der Bühne. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, ihre Brust mit Entzücken.
    »Ich bin es müde, die ganze Zeit zu spielen, die ganze Zeit Schauspielerin zu sein! Selbst jetzt, da ich mit Ihnen rede, denke ich dabei: Ein Dialog wie zwischen Jelena Andrejewna und Doktor Astrow im dritten Akt von ›Onkel Wanja‹, nur besser, viel besser, weil fast nichts nach außen dringt. So musst du weitermachen: innen Feuer, außen eine Eiskruste. Mein Gott, ich habe solche Angst, zu werden wie Sarah Bernhardt!«
    »V-Verzeihung?« Seine blauen Augen wurden ganz rund.
    »Mein ewiger Alptraum! Von der großen Sarah Bernhardt heißt es, sie sei nie natürlich. Das sei bei ihr ein existentielles Prinzip. Bei sich zu Hause läuft sie angeblich im Pierrot-Kostüm herum. Zum Schlafen legt sie sich nicht ins Bett, sondern in einen Sarg, um sich von der Tragik des Daseins durchdringen zu lassen. Alles ist manieriert, alles Effekt. Das ist eine schreckliche Gefahr für eine Schauspielerin – sich selbst zu verlieren, zu einem Schatten zu werden, zur Maske!«
    Sie fing an zu weinen, die Hände vors Gesicht geschlagen. Sie weinte bitterlich und echt – mit roter Nase und geschwollenen Augen, trotzdem schaute sie durch die Finger, wie er sie ansah.
    Oh, wie er sie ansah! Einen solchen Blick würde sie nicht für die Ovationen eines ganzen Saales hergeben!
     
    Lange konnten sie natürlich nicht in diesem Stadium ihrer Beziehung verharren. Freundschaft mit einem gutaussehenden Mann, das gab es vielleicht in romantischen Balladen. Im Leben kam so etwas nicht vor.
    Am dritten Tag fuhr Elisa nach der Probe mit zu ihm nach Hause, in das kleine Gartenhaus in der stillen alten Gasse. Der Vorwand für den Besuch war durchaus ehrenhaft: Erast hatte ihr angeboten, sie könne sich für ihre Rolle einen Kimono, Fächer und ein paar andere japanische Kleinigkeiten aussuchen, von denen er zu Hause mehr als genug habe. Nichts
Derartiges
hatte sie im Sinn, Ehrenwort. Sie war einfach nur neugierig, zu sehen, wie dieser rätselhafte Mann lebte. Eine Wohnung verrät mitunter viel über ihren Bewohner.
    Das Haus erzählte in der Tat viel über Erast Petrowitsch – sogar sehr viel, es war gar nicht gleich alles zu entschlüsseln.
    Überall herrschte ideale, geradezu leblose Ordnung, wie so oft bei eingefleischten, pedantischen Junggesellen. Nichts wies auf die ständige Anwesenheit einer Frau hin, doch hier und da entdeckteElisas scharfer Blick Dinge, die nach Reliquien früherer Passionen aussahen: die Miniatur einer Blondine ganz hinten im Bücherschrank; ein eleganter Kamm, wie sie vor zwanzig Jahren in Mode gewesen waren; ein kleiner weißer Handschuh, wie zufällig unterm Spiegel liegengelassen. Nun, er hatte also nicht wie ein Mönch gelebt, das war normal.
    Peinliche Pausen kamen gar nicht erst auf. Erstens fiel es ihr in Gegenwart dieses Mannes überhaupt nicht schwer, auch

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