Moskauer Diva
pardon, von Impotenz. Die Intelligenz ist eine denkende Schicht, und darin liegt ihre Stärke. Wenn sie unterliegt, dann deshalb, weil sie ihre wichtigste Waffe, den Intellekt, schlecht einsetzt. Man muss nur seinen Intellekt einsetzen, dann wird klar, dass ein nobler Mensch über ein weit mächtigeres Arsenal und einen weit stärkeren Schutz verfügt als die geschicktesten Manipulatoren im Geheimdienst oder die revolutionären Führer, die altruistische Jünglinge in den Tod schicken. Sie werden fragen, worin das Arsenal und der Schutz des noblen Menschen bestehen, der sich nicht auf niedere Kampfmethoden einlässt …«
Doch Elisa wollte nichts dergleichen fragen. Erast Petrowitschs Erregung und das Timbre seiner Stimme hatten auf sie eine stärkere Wirkung als jedes Aphrodisiakum. Schließlich wehrte sie sich nicht mehr gegen die ihren ganzen Körper erfassende Schwäche und legte ihm von sich aus mit einem leisen Seufzer eine Hand aufsKnie. Worin das Arsenal und der Schutz eines noblen Menschen bestanden, erfuhr Elisa nicht mehr. Fandorin verstummte natürlich mitten im Satz und zog sie an sich.
An das Weitere erinnerte sie sich wie immer in solchen Fällen nur bruchstückhaft und in einzelnen Bildern, wobei eher der Tast- und der Geruchssinn eine Rolle spielten als das Visuelle. Die Liebe hat etwas Magisches. Man wird ein ganz anderes Wesen, macht die unglaublichsten Dinge und schämt sich nicht im Geringsten. Die Zeit ändert ihr Tempo, der Verstand wird barmherzig ausgeschaltet, es erklingt wunderschöne Musik, und du fühlst dich wie eine antike Göttin, die auf einer Wolke schwebt.
Doch dann zuckte ein Blitz auf, und Donner grollte. Ganz buchstäblich – ein Gewitter setzte ein. Elisa hob den Kopf, wandte sich zum Fenster und wunderte sich, warum es so schwarz war. Offensichtlich war es inzwischen dunkel geworden, ohne dass sie es bemerkt hatte. Doch in dem Augenblick, da der Blitz die Dunkelheit erhellte, kehrte Elisas Verstand zurück und mit ihm sein ewiger Begleiter, die Angst, die sie vollkommen vergessen hatte.
Was habe ich angerichtet?! Ich Egoistin! Ich Verbrecherin! Ich werde ihn zugrunde richten, wenn ich es nicht schon getan habe!
Sie stieß den im Halbdunkel silbrig schimmernden Kopf ihres Geliebten von ihrer Schulter, sprang auf, tastete auf dem Fußboden nach ihren Kleidern und zog sich rasch an.
»Was ist los? Was ist passiert?«, fragte er erstaunt. Flammend und mit Tränen in den Augen rief Elisa: »Das darf sich nie, hören Sie, niemals wiederholen!«
Er starrte sie mit offenem Mund an. Doch Elisa rannte bereits aus dem Haus, in den strömenden Regen.
Schrecklich, schrecklich! Ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich: Unter dem Hoftor stand eine kompakte schwarze Gestalt. Jemand hatte sich gegenüber vom offenen Fenster versteckt und sie beobachtet …
Mein Gott, rette ihn, rette ihn, betete Elisa und lief mit klappernden Absätzen über das nasse Trottoir. Sie rannte, ohne auf den Weg zu achten.
Das Herz an der Kette
Irgendwann beruhigte sie sich natürlich ein wenig. Wahrscheinlich hatte im Torbogen nur ein zufälliger Passant Schutz vor dem Gewitter gesucht. Dshingis Khan war ein schrecklicher Mensch, aber dennoch nicht der allgegenwärtige Teufel.
Und wenn er es doch gewesen war? Musste sie Erast nicht vor der Gefahr warnen?
Nach einigem Zögern entschied sie sich dagegen. Wenn sie Fandorin davon erzählte, würde er als Ehrenmann seine Geliebte beschützen wollen und sie nicht mehr allein lassen. Und dann würde Iskander auf jeden Fall von ihrem Verhältnis erfahren. Einen erneuten Verlust, zumal einen
solchen
, würde Elisa nicht überleben.
Sie erlaubte sich ein wenig zu träumen, wie schön zwischen ihnen alles hätte werden können, wäre da nicht ihr böses Karma (dieses knarrende japanische Wort hatte sie aus dem Stück). Ach, was wären sie für ein Paar! Die berühmte Schauspielerin und der nicht mehr junge, aber schöne und ungeheuer begabte Dramatiker. Wie Olga Knipper und Tschechow, nur dass sie sich nicht trennen, sondern lange und glücklich miteinander leben würden, bis ins hohe Alter. Das Alter malte sich Elisa in ihren Träumen nicht weiter aus – zum Kuckuck damit.
Es gab noch einen Grund, warum sie das Leben von Erast nicht aufs Spiel setzen durfte: Die Verantwortung gegenüber der Literatur und dem Theater. Ein Mann, der noch nie zur Feder gegriffen hatte und auf Anhieb ein Meisterwerk schuf, ja, ja, ein Meisterwerk, wurde womöglich ein
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