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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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neuer Shakespeare! Mochte Mefistow auch mit schiefem Mund flüstern, das Stück sei zwar bequem fürSterns Theorie, aber sonst nicht weiter interessant. Er war doch nur wütend, weil seine Rolle, die des Kaufmanns, die unattraktivste war. Ein von der Liebe diktiertes Stück musste einfach etwas Großes sein! Und für eine Frau gab es keine größere Würdigung, kein schmeichelhafteres Kompliment, als die inspirierende Muse eines Künstlers zu werden. Wer würde sich noch an eine Laura erinnern, an das Mädchen Beatrice oder die leichtsinnige Anna Kern 10 , wären ihnen nicht große Werke gewidmet worden? Dank Elisa Lointaine würde am Himmel der Dramatik ein neuer Stern aufgehen. Konnte sie es da zulassen, dass er ihretwegen wieder erlosch?
    Also nahm sie sich zusammen und legte ihr Herz an die Kette. Am nächsten Tag, als Fandorin auf sie zugestürzt kam, um zu erfahren, was los war, verhielt sich Elisa zurückhaltend, ja kalt. Sie tat, als verstünde sie nicht, warum er sie plötzlich duzte. Sie gab ihm zu verstehen, dass sie, was gestern geschehen war, aus ihrem Gedächtnis gestrichen hatte. Es war einfach
nicht passiert
– und Schluss.
    Sie musste nur die ersten zwei Minuten durchhalten. Sie wusste: Er war ein stolzer Mann, er würde nicht weiter insistieren oder sie gar verfolgen. Genau so kam es. Nach zwei Minuten wurde Fandorin totenblass, senkte den Blick und biss sich, mit sich ringend, auf die Lippen. Als er den Blick wieder hob, war es, als hätte er einen dichten Vorhang vor seine Augen gezogen.
    Er sagte: »Nun, dann leben Sie wohl. Ich werde Sie nicht mehr belästigen.« Und ging.
    Gott allein weiß, wie sie es schaffte, nicht loszuheulen. Doch als Schauspielerin hatte sie gelernt, Gefühlsäußerungen zu zähmen.
    Zu den Proben erschien er fortan nicht mehr. Das war eigentlich auch nicht notwendig. Alle Fragen zum Land der aufgehenden Sonne konnte auch der Japaner beantworten, der seine Aufgabe vorbildlich ernst nahm: Er kam stets als Erster, ging als Letzter undgab sich außerordentliche Mühe. Noah Nojewitsch hatte seine helle Freude an ihm.
     
    Fandorin loszuwerden war also einfacher gewesen, als Elisa gedacht hatte. Was sie sogar ein wenig ärgerte. Wenn sie um elf ins Theater kam, wartete sie immer, ob er nicht vielleicht doch auftauchte, und stimmte sich innerlich darauf ein, hart zu bleiben. Doch Erast kam nicht, und die Anstrengung war umsonst. Elisa litt. Sie tröstete sich damit, dass alles auch sein Gutes hatte und der Schmerz mit der Zeit nachlassen würde.
    Die Arbeit an der Rolle war dabei eine große Hilfe. Da gab es so viel Interessantes! Sie lernte, dass japanische Frauen, besonders Geishas, anders liefen als europäische Frauen, sich anders verbeugten, auf besondere Weise sprachen, sangen und tanzten. Elisa stellte sich vor, sie sei eine lebendige Verkörperung der erlesensten aller Künste, eine selbstlose Dienerin des »Yugen«, des japanischen Ideals der verborgenen Schönheit. Das war nicht so einfach zu verstehen: Was für einen Sinn hatte Schönheit, wenn sie sich vor den Blicken verbarg, sich verhüllte?
    Noah Nojewitsch sprühte jeden Tag vor Ideen. Eines Tages kam es ihm in den Sinn, die ganze Inszenierung umzubauen. »Das Stück ist doch fürs Puppentheater geschrieben, also lasst es uns auch so spielen!«, verkündete er. »Alle, die gerade nicht unmittelbar spielen, hüllen sich in einen schwarzen Umhang und sind Puppenspieler. Sie tun, als führten sie die Personen, als zögen sie die Strippen.« Er demonstrierte es mit ruckartigen Bewegungen. »Das bedeutet: Alle Figuren sind Marionetten in den Händen des Karmas, des unbeugsamen Schicksals. Und plötzlich reißt Ihre Puppe, Elisa, sich von den Strippen los und bewegt sich wie ein lebendiger Mensch. Ein großartiger Effekt!«
    In den Pausen, wenn sie aus dem magischen Bühnenzustand heraustrat, in dem man weder Angst noch Schmerz empfindet, krochElisa förmlich in sich zusammen; die schreckliche Wirklichkeit drückte sie mit ihrer ganzen staubigen Last nieder. Das Gespenst von Dshingis Khan schwebte in den dunklen Tiefen der Kulissen, die unterdrückte Liebe kratzte mit Katzenkrallen an ihrem Herzen, und wenn sie in den Flur hinausging, sah sie die toten Ahornblätter am Fenster kleben – Herbst, vermutlich der letzte in ihrem Leben …
    Der einzige Lichtblick dieser unvermeidlichen Arbeitspausen waren für Elisa die Gespräche mit Fandorin junior. Selbstverständlich konnte sie ihr Interesse an Erast Petrowitsch

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