Motte Maroni - Flossen des Grauens
Badegäste zu verletzen, am Ende gar zu … Herta Nipf will diesen Gedanken gar nicht weiterdenken. Aber sie beschließt, dass sie gleich am nächsten Morgen den Bürgermeister zu einem Gespräch bitten wird. Außerdem möchte sie einen Haiforscher aus Wien kommen lassen. Einen gewissen Professor Anselm Maroni.
Von dem hat sie vor zwei Jahren, während eines Mittelmeerurlaubs, ein Buch gelesen, mit dem Titel „Der Haifisch: Monster und Freund“. Das war so gut geschrieben, dass sich Herta Nipf zwei Wochen lang nur in den Hotelpool, nicht aber ins Meer getraut hat. Nun glaubt Herta Nipf zwar nicht an die Existenz eines Hais im Neusiedlersee, aber Raubfisch ist Raubfisch, und einen anderen Fischexperten kennt sie nicht einmal vom Namen her.
Weil ihr nun schon die Augen brennen, beschließt Herta Nipf, noch einen letzten Kontrollgang durch Podersiedel zu machen. Sie tätigt einen Rundblick mit dem Fernglas, bleibt kurz bei einer älteren Dame hängen, die offensichtlich Enten füttert, wo keine Enten sind, und stapft dann in Richtung Hauptstraße hinauf.
Vor ihr umringt eine Gruppe braun gebrannter Jungsurfer ein Mädchen, das nicht auf den Mund gefallen ist. Nina. Na klar. Nicht zum ersten Mal fragt sich Herta Nipf, von wem ihre Tochter die blonde Engelsschönheit geerbt haben kann. Sicher nicht von Herta selbst. Und Hertas verstorbener Vater, der war auch kein Adonis … Den johlenden Surfern ist es egal, warum Nina so schön ist. Hauptsache, dass. „Meine Mom ist hier in Podersiedel der Sheriff“, hört Herta Nina lachen. „Wenn ihr mich nicht in Ruhe lasst, fesselt sie euch mit Handschellen!“ Einer der Knaben scheint besonders verliebt zu sein. Er ist der Kleinste der Gruppe, blass, unscheinbar, und trägt einen roten Fischerhut mit vielen Blinkern dran. Okay, einer vom Fischercamp, noch nicht lange hier. Er fuchtelt mit einem pinkfarbenen Buch herum und sagt etwas, woraufhin Nina laut auflacht und ihm eine Ohrfeige gibt. Das scheint ihn nicht weiter zu beeindrucken, er beugt sich mit gespitzten Lippen nach vorne, da ruft Nina: „Hallo, Chief, heute schon einen Wüstling verhaftet?“Die Meute stiebt auseinander, der rotbehütete Knabe stolziert würdevoll mit seinem Buch davon, nicht ohne Nina Kusshände zuzuwerfen. Grinsend macht sich Herta mit ihrer Tochter auf den Heimweg.
Zu Hause knallt sich Herta mit kalten Fleischlaberln und einer Dose Bier aufs Sofa. In Ruhe ihre Liebesschmonzette weiterlesen, das erscheint ihr jetzt als das höchste der Gefühle, aber Nina hat eine bessere Idee. „Du weißt schon, wegen dem Hirnschallerer“, grinst sie. „Das wird dir gefallen!“ Sie legt eine DVD ein.
Na super, ein Film über einen Haifisch, der einen amerikanischen Badeort terrorisiert, indem er zahlungskräftige Touristinnen in knappen Bikinis verspeist. Ein alter Schinken, aber irgendwie spannend. Ein Badeort, Hochsaison, ein gefährliches Fischmonster, ein Polizeikommandant, den sie Chief Brody nennen …
Herta springt auf und schnappt sich ihr Handy. Es ist schon spät, aber in einem solchen Notfall kann man darauf keine Rücksicht nehmen. Nach einigen Sekunden meldet sich der Bürgermeister.
„Horvath!“, bellt es aus dem Hörer.
„Chief Nipf hier, Herr Bürgermeister!“, meldet sich die Postenkommandantin.
„Wer?“
„Äh, Herta Nipf, Postenkommandantin! Es ist dringend!“
„Nipf! Sie schon wieder! Wissen Sie eigentlich, wie spät es ist?“
Ohne Umstände erläutert Herta ihre Ideen, die Sicherheit der Badegäste und Windsurfer betreffend. Zwei Worte bringen den Bürgermeister dazu, einen beachtlichen Wutanfall zu erleiden. Das eine Wort lautet: „Strände“, das andere Wort lautet „sperren“.
„Sie wollen waaas tuuun, Nipf?“, brüllt der Bürgermeister in den Hörer.
Herta Nipf bemüht sich um innere Ruhe: „Ich möchte die Strände sperren, bis wir wissen, ob sich im See ein gefährlicher Fisch herumtreibt oder nicht!“
Nach wenigen Minuten, in denen der Bürgermeister, ohne Luft zu holen, auf Nipf eingebrüllt und sie sehr oft gefragt hat, ob sie irgendwo dagegengelaufen, schlichtweg verrückt geworden oder am Ende gar übergeschnappt sei, fühlt sich Herta Nipf nur mehr zirka zehn Zentimeter groß, inklusive Dienstkappe. Die Strände haben offen zu bleiben, und Nipf und ihre Beamten haben, bis zur Klärung dieses „ausnehmend kniffligen Falles“, auf dem See mit dem Dienst-Tretboot „Mizzi Zwo“ zu patrouillieren und möglichst keine Touristen zu
Weitere Kostenlose Bücher