Mozart - Sein Leben und Schaffen
hinterlassen hat.
Wir müssen hier einen ganz klaren Standort gewinnen. Es gibt zwei große Richtungen im künstlerischen Schaffen. Die eine ist, daß der Künstler die Erscheinungen der Welt sich so zu eigen macht, daß er ihnen in der Welt des Scheins eine Form zu geben vermag, die ein Bild der wirklichen Erscheinung so vor uns erstehen läßt, daßwir davon sinnlich, geistig und seelisch ergötzt werden. Diese Richtung der Kunst ist immer formal im weitesten Sinne des Wortes. Das Problem liegt immer darin, eine Formgebung für ein Vorhandenes zu finden. Dieses Verhältnis zeigt sich uns am klarsten in der bildenden Kunst. Man denke vor allem an die Landschaft. Aber auch die Dichtung braucht nichts anderes zu sein. Eine altitalienische Novelle ist nichts anderes als die Erzählung eines Vorganges und trägt ihren erhöhten Reiz gegenüber dem Vorgang selbst in der Form. Schwieriger liegt der Fall in der Musik, weil für sie das unmittelbare Vorbild in der Welt nicht vorhanden ist. Dafür empfinden wir dann um so stärker, daß das Künstlerische dieser Art Musik im Spiel in einer Form beruht. Mit dem gegebenen Material einiger Töne (Thema) eine für sich stehende, in ihrer Eigenart festgelegte Form zu bilden, zu füllen, das ist die Aufgabe dieser Musik. Diese ganze Kunstrichtung ist nicht ein Schöpfen im höchsten Sinne.
Als ursprünglichste, unvermischte Tätigkeit des Künstlers erkennen wir das »Dichten«. Das ist das gottverwandte Schöpfen eines Gebildes. Dieses Schöpfen ist ein innerlicher Vorgang. Damit diese Schöpfertätigkeit für die Welt fruchtbar werde, muß sie in Erscheinung treten, muß sie Gestalt bekommen. Der Schöpfer Gott schöpft innerlich nach seinem Ebenbilde – denn man kann ja nur ureigenstes, also nur sein Ebenbild geben – den Menschen. Damit dieser in Erscheinung trete, muß er ihn gestalten. Dieses von dem gestaltlosen Wesen Gott nach seinem Ebenbilde geschaffene Werk »Mensch« wird von diesem Gott gestaltet im Material der Erde. Die schöpferische Kraft des Genies ist dieses Göttliche. Irgend ein Etwas des ureigensten Besitzes dieses Genies wird von ihm vermöge dieser in ihm liegenden schöpferischen Kraft so fest und gewaltig erfaßt, daß es sich von ihm ablösen kann, daß er es aus sich hinausstoßen kann in die Welt. Für diese Schöpfung, diese Dichtung sucht und findet er ein Mitteilungsmittel. Es gab Genies, die dichteten in Taten; das künstlerische Genie dichtet in Worten, in Tönen, in Farben. Man kann nicht verkennen, daß diese Art der künstlerischen Tätigkeitdas Höchste ist. Denn es bedeutet absolut genommen Vermehrung der Welt, Erschaffung eines vorher für diese Welt nicht lebendig gewordenen Wertes.
Eine Vorstufe dieses Dichtens aus dem eigenen Selbst heraus ist das Dichten nach dem bereits in der Welt Vorhandenen. Ob es hier als Kunstwerk, als Geschehnis oder sonstwie vorhanden ist, das ist dagegen gleichgültig. Es ist für den Maler vollkommen einerlei, ob er einen Wilhelm Tell nach Schillers Dichtung oder nach Tschudis Chronik malen will, oder ob er überhaupt nur von der Sage hört, der er Gestalt geben will. Bei dieser künstlerischen Tätigkeit fehlt das ursprüngliche Erleben-müssen. Es ist bereits da. Man nehme irgend eine mythische Gestalt. Die eigentlichste dichterische Tätigkeit wurde hier in dem Augenblicke geleistet, als z. B. irgend eine Naturerscheinung zu einer Gestalt symbolisiert wurde. Diese Tätigkeit kann nun kein Künstler mehr vollbringen. Er hat hier immer eine Art Nacherlebens. Seine rein schöpferische Tätigkeit dabei wird sich natürlich in dem Maße beteiligen können, als jene Gestalt nicht fest umrissen ist. Der bildende Künstler, der einen Wotan vor uns hinstellt, braucht diesen Wotan nicht mehr zu dichten; er braucht bloß nach dem Ausdruck dieses Gedichteten in seiner Kunst zu suchen. Für das äußere Schaffen hat er also genau soviel zu tun wie der ursprüngliche Dichter in Farben. Aber er hat diese ursprüngliche Dichterkraft, das ist Schöpferkraft, nicht unbedingt nötig, um ein solches Werk vollbringen zu können. Was aber hier z. B. der bildende Künstler oder der Musiker gegenüber einem dichterisch behandelten Stoffe tun kann oder tun muß, ist die Erhöhung von zahllosen Einzelheiten zur Einheit. Es gibt hundert Sagen von Wotan, hundert ganz verschiedene Situationen, in denen er steht. Der bildende Künstler hat die Aufgabe, eine Gestalt zu schaffen, der wir diese hundert verschiedenen Einzelzustände
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