Mozart - Sein Leben und Schaffen
dann bringt, wenn die körperliche Erscheinung der betreffenden Schauspieler nicht so sich mit der Idealvorstellung, die wir uns von den betreffenden Personen und Charakteren machen, deckt, wie der bildende Künstler sie erreichen kann. Darin, daß sich diese beiden Künste in diesem Nebeneinander nicht organisch verbindenkönnen, liegt das ästhetisch Minderwertige. Aber ebenso unzweifelhaft ist ein Reiz gerade in dem Hin- und Hergezogenwerden, in dem steten Gegeneinanderspiel von Geist und Empfindung, von verstandesmäßiger Vorstellung und sinnlichem Empfangen.
Gewiß gibt diese Tatsache uns eigentlich doch zunächst nur die Erklärung für die Beliebtheit dieses Nebeneinanders von Künsten beim Publikum, nicht bei dem Künstler selber, bei dem man eher denken möchte, daß ihn diese zweifellos vorhandene Zwiespältigkeit der Gesamterscheinung stören müsse. In der Tat haben die Künstler diese Gattungen kaum jemals als ganz vollwertig angesehen; viele von ihnen haben sie sogar schroff verurteilt. Aber ebensowenig ist anderseits zu leugnen, daß die Gattungen immer eine große Anziehungskraft ausübten. Die Reihe der bildenden Künstler von echtem Können, die auf dem Gebiet sogenannter »literarischer« Malerei oder Zeichnung tätig gewesen sind, ist von unübersehbarer Länge. Erst recht, wenn wir jene mit hineinziehen, deren Werke nicht gerade als Buch vorliegen, aber so bekannte, in Dichtungen behandelte Vorgänge und Personen vorführen, daß der Beschauer aus sich selber gewissermaßen den Buchinhalt hinzubringt. Nun ist zweifellos in dem Augenblick, wo – wir wollen der Einfachheit wegen das gewohnte Wort brauchen – die Klassiker-Illustration losgelöst vom Buch als besonderes Blatt oder Gemälde vor uns hintritt, ein günstigeres Verhältnis geschaffen, insofern das Nebeneinander zugunsten eines Ineinander abgeschwächt ist. Wenn ich mir z. B. eine Mappe mit Bildern zu Goethes »Faust« ansehe, so haben diese Bilder nicht mehr mit dem Wortlaut, mit der einzelnen Szene in Wettbewerb zu treten, sondern mit jenem mehr allgemeinen geistigen Inhalt, jener bereits zur Sinnlichkeit gewordenen Vorstellung, die ich vom Ganzen in mir trage. Beim Nebeneinanderwirken von Dichtung und Musik finden wir als Parallele zu diesem Zustand die Programmusik, wo auch nicht mehr das einzelne seine Charakterisierung erfährt, sondern die Gesamtvorstellung von einem Dichterwerke. Es ist bekannt, daß diese Programmusik genau so für die Musiker aller Zeiten eine Verlockung darbot wie das Bild mit literarischem (oder geschichtlichem) Inhalt für den Maler, und zwar auch für jene, die in ihrer Kunst dahin vorgedrungen waren, wo diese aus ureigenen Mitteln, ohne alles Nebeneinander, urschöpferisch ein Gleiches erreicht. So hat Beethoven, der ursprünglichste Dichter in Tönen, auch dieses Nachdichten geübt, und der Beethoven auf seinem Gebiete urverwandte Dichter in Farben, Böcklin, hat auch gelegentlich sich in der farbigen Nachdichtung von bereits gestalteten Vorgängen gefallen.
Der tiefste Grund dieser Erscheinung ist sicher ein mehr geistiger. Wir sind hier im Gebiete des bewußten Kunstschaffens, haben hier im eigentlichsten Sinne des Wortes formale Kunst. Denn die Einstellung des Künstlers dabei ist die, etwas, was bereits irgendwo zur sinnlichen Formgestaltung gekommen ist, mit den sinnlichen Mitteln einer andern Kunst nochmals zu gestalten. Dieses »bereits zur Gestalt Gewordensein« ist der springende Punkt und kennzeichnet den wahren Künstler. Hierin unterscheidet sich z. B. der nachdichtende Maler vom handwerksmäßigen Illustrator. Der nachdichtende Maler schafft aus dem Ganzen des Werkes, der Illustrator hängt sklavisch an dem einen Vorgang. Man denke daran, wie z. B. in manchen illustrierten Romanen unter das Bild die zwei bis drei Sätze gestellt werden, die dieser Zeichner zu illustrieren vorgibt. Wenn dagegen Beethoven in seiner Pastoralsinfonie ein Gewitter darstellt, so will er nicht den möglichst realen Eindruck eines wirklichen Gewittervorganges erzielen, sondern in uns das Erlebnis eines Gewitters wachrufen. Beethoven tritt also nicht in Wettbewerb neben die Natur, sondern in Wettbewerb mit jenem bereits gestalteten Erlebnisse in uns selbst. Das ist der große Unterschied. Genau so, wie Böcklin, wenn er uns seinen »Rasenden Roland« zeigt, nicht in Wettbewerb tritt mit den zwei bis drei Stanzen Ariosts, die diesen Vorgang schildern, sondern mit dem Bilde, das in uns die Ariostlektüre
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