Mozart - Sein Leben und Schaffen
der Russe Mereschkowski in seinem Roman »Lionardo da Vinci« den Wegen dieser eigenartigen Genialität nachgespürt.
Daß Mozart dieser Gefahr so völlig entronnen ist, hat seinen tiefsten Grund wohl darin, daß für ihn das Formale keine Probleme ergab. Das elementar Musikalische, von jeglicher außermusikalischen Beimischung Freie seiner Empfindungsweise bewirkt, daß bei Mozart ein Widerstreit zwischen Form und Inhalt nicht möglich ist. Hier liegt auch die Erklärung dafür, daß seine Werke von so vollkommener Stileinheit sind. Dieser
Mozartsche Stil
ist der entzückendste Ausdruck seiner Persönlichkeit. Nichts ist ihm zu vergleichen. Wir wollen sein Wesen zu ergründen versuchen.
Der 22jährige Mozart hat auf der Reise nach Paris an den Vater geschrieben, er würde sich sehr freuen, wenn er in Paris den Auftrag zur Komposition einer Oper erhalten würde, und soviel lieber ihm eine italienische Oper wäre, so würde er sich doch auch kecklich eine französische Oper übernehmen, »denn ich kann so ziemlich, wie sie wissen, aller Arten Stil von Kompositionen annehmen und nachahmen«. In der Tat, man wird von diesen Kompositionen aus den Wunderkinderjahren nicht ein ausgesprochen persönliches Gepräge erwarten. Das ist sogar das Gute dabei; denn so frühreif das Kind Mozart war, so große psychologische Rätsel seine Entwicklung aufgibt, psychopathisch, krankhaft wirken die Erscheinungen nirgends. Und so istdenn auch Mozarts frühe Kompositionstätigkeit im letzten Sinne die durchaus kindliche Eigenschaft der Nachahmungsfähigkeit , freilich in einer sonst kaum wieder anzutreffenden Höhe.
Die Fähigkeit, alle Arten Stil anzunehmen, ward bei ihm zum Stilgefühl insofern dadurch, daß doch alle diese Stilarten durch ihn hindurchgehen mußten, sich bei ihm ganz natürlich die Empfindung einstellte, daß der und der Stil besser für diese Gelegenheit passe, als für eine andere. So offenbart sich schon in den Kompositionen, die der Zwölfjährige für Wien schuf, ein bewußtes, scharfes Auseinanderhalten im Stil der Kompositionen für die Kirche und für die Oper.
Im Hinblick auf Mozart hat Richard Wagner den Satz geschrieben: »Der deutsche Genius scheint fast bestimmt zu sein, das, was seinem Mutterlande nicht eingeboren ist, bei seinen Nachbarn aufzusuchen, dies aber aus seinen engen Grenzen zu erheben und somit etwas Allgemeines für die ganze Welt zu schaffen.« Diese Universalität – nicht Internationalität – des Geistes haben vor allem deutsche Musiker angestrebt. Aber Mozart hat nicht nur »diese Universalität des deutschen Geistes in der höchsten Potenz vollbracht und die ausländische Kunst sich zu eigen gemacht, um sie zur allgemeinen zu erheben« (Wagner), – er hat das viel Höhere erreicht, daß die Weltsprache der Musik seine Persönlichkeitssprache wurde. Das haben wir nach meinem Gefühl seinem Herumreisen als Wunderkind zu danken, der Tatsache, daß er in so jungen Jahren die Stile der verschiedenen Völker sich zu eigen machte. Denn auf Italien folgte Paris, wo er die ganze Art der französischen Musik wirklich erleben konnte, überdies in aller Lebendigkeit die Werke Glucks auf sich einwirken ließ. Gerade weil er selber noch ein Kind oder Knabe oder doch noch ein unfertiger Jüngling war, übernahm er diese verschiedenen Musikstile als Formen . Da ein eigenes Seelenleben, die Persönlichkeit in ihm noch nicht entwickelt war, da er jugendlich empfand, nahm er alle diese fremde Kunst als Außenerscheinung in sich auf, nicht aber den tieferen Gehalt derselben, vor allen Dingen nicht die Art des Fühlens , die eine solche Ausdrucksweise bedingt. Hochbegabte Musiker, wie Hasse und Naumann, warenvöllig zu Italienern geworden; aus ihren Opernwerken kann niemand auf ein deutsches Empfinden schließen. Sie hatten mit der italienischen Opernform auch die italienische Seele in sich aufgenommen oder hatten doch wenigstens die Fähigkeit eingebüßt, ein deutsches persönliches Empfinden auszudrücken. Auch der Riese Händel ist in seinen Opern durchaus Italiener. Dagegen wird man selbst die italienischste Oper des späteren Mozart, »Cosi fan tutte«, niemals als italienische Musik empfinden. Man spürt ganz deutlich eine Persönlichkeit heraus, und diese Persönlichkeit ist kein Italiener.
Für Mozart – ich meine jetzt den späteren, fertigen Meister – wurde die Beherrschung der verschiedenen Stile niemals zu einer Nachahmung derselben, weil er sie niemals um ihrer Form willen
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