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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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bitte Dich inständig, alle derart abwegigen Vermutungen zurückzuweisen und gewiss zu sein, dass Dein Bruder bis zu seinem letzten Atemzug ein höchst treuer und hingebungsvoller Gatte und Vater gewesen ist.
    Eine ungewohnte Hitze schoss mir ins Gesicht, und mein Gesichtsfeld verdüsterte sich. Meine Erregung trieb mich aus dem Sessel hoch. Als ich aufstand, prasselte das Feuer im Luftzug meines Rocks.
    Ich blickte in den goldgerahmten Spiegel über dem Kaminsims. Auf meiner blassen Haut sah ich nichts als Tod. WieJahresringe eines Baums umgaben Falten meine Augen, kündeten eher von einem erneuten Wintereinbruch als von einem zweiten Frühling. Und dann war
er
da, deutlich zu erkennen in meinem Gesicht, aufgestiegen aus dem Spiegelbild dieser Frau in der letzten Phase ihrer jüngeren Jahre – die ironischen Lippen meines Bruders, seine hervorstechende Nase und seine sanften Augen. Er sah zu, wie ich vom Spiegel wegtaumelte und gegen den Tisch stieß, sodass die Schokoladentasse am Boden zerschellte.
    Aus seinem Arbeitszimmer hörte ich, wie mein Mann sich aus Verärgerung über den Lärm räusperte. Ich stellte mir vor, wie die Ärzte in die gleiche nachsichtige Geste der Ungeduld verfallen waren, wenn mein Bruder ihnen erklärte, vergiftet worden zu sein. Schließlich war er trotz allem jemand, der wegen kleiner Verletzungen und Erkrankungen stets das größte Theater veranstaltet hatte.
    Gewiss hatte Wolfgang etwas gewusst, was sie nicht wussten. Die Symptome mochten auf hitziges Frieselfieber hindeuten, aber nur für jemanden, der kein böses Spiel vermutete. Hätte dieser Hofdemel ein Mörder sein können? Ich zwang mich dazu, die verwerfliche Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Egoismus meines Bruders, der durch die Nachsichtigkeit all derer, die sein Genie bewundert hatten, noch befeuert worden war, seine moralischen Skrupel hinweggefegt und ihn zur Sünde des Ehebruchs verleitet haben könnte.
    Sobald ich die Möglichkeit einer Vergiftung für erwägenswert hielt, schockierte mich die Anzahl anderer Mordverdächtiger, die mir in den Sinn kamen. Wolfgang hatte nie gelernt, diplomatisch zu sein, sprach oft freimütig und verletzend, sodass sein Mörder ein Sänger sein konnte, den er verhöhnt hatte. Oder ein konkurrierender Komponist, dem der größere Künstler einen Auftrag weggeschnappt hatte. Dann gab es da auch noch seine ordinäre kleine Frau mit ihrer intrigantenFamilie Weber, die meinen Bruder zur Ehe gezwungen hatten. Ich konnte sie mir zwar nur schwerlich als Mörderin vorstellen, doch warum drängte Constanze so sehr darauf, dass ich Wolfgangs Verdacht, vergiftet worden zu sein, als Wahnvorstellung eines getrübten Geistes verwerfen sollte?
    In Wolfgangs Leben war alles außergewöhnlich gewesen. Nun verlangte man von mir zu glauben, dass sein Tod so gewöhnlich war, dass man ihn mittels der ärztlichen Diagnose eines Hautausschlages erklären konnte. Das wollte ich einfach nicht glauben.
    Ein zweiter Blick in den Spiegel. Ich konnte nicht wegsehen. Meine Augen waren groß und braun, genau wie seine, haselnussbraun. Meine Wangen ein wenig pockennarbig, aber weniger als bei Wolfgang. Ähnelten sich unsere Gesichter denn vollständig? Was von diesen Zügen gehörte allein zu mir? Nicht der Mund mit der schmalen Unterlippe und den leicht süffisant hochgezogenen Mundwinkeln. Auch darin ähnelte ich meinem Bruder.
    Während ich ins Spiegelglas schaute, entdeckte ich auf diesem Gesicht etwas Neues, etwas, das ich nicht als mein eigenes Wesensmerkmal erkannte: Ich fand es kraftvoll. Vielleicht war es die gleiche Kraft, die es Wolfgang ermöglicht hatte, sich unserem Vater zu widersetzen und Salzburg zu verlassen, um seinen eigenen Weg als selbstständiger Komponist in Wien zu gehen. Ich hätte es nie gewagt, mir solche Kraft auch nur vorzustellen, und hätte sie mit Sicherheit nie selbst aufgebracht. Wolfgangs Trotz hatte mich geschmerzt, weil ich, beladen mit der Aufgabe, mich um unseren Vater zu kümmern, in unserer öden Provinzstadt allein zurückgeblieben war. Doch nun erkannte ich in meinem eigenen Blick die gleiche Kühnheit.
    Ich ging durch die Diele, klopfte an die Tür des Arbeitszimmers und trat ein.
    Mein Gatte wandte mir sein schmales Gesicht zu und schlug den Pelzkragen seines Morgenrocks hoch. In seinen Augen las ich Verärgerung, die er hinter jener Unnahbarkeit verbarg, mit der er Bittsteller empfing, wenn sie um seine Beglaubigung irgendwelcher amtlicher Dokumente

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