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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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wichtig, solangees nicht gefährlich ist. Das liegt in der Natur von Palästen.»
    «Dann sollte ich meine schlechte Meinung über die Abgeschiedenheit ändern, in der ich die letzten zwanzig Jahre in St. Gilgen gelebt habe. Zumindest ist es dort nicht gefährlich.»
    «In Ihren Bergdörfern riskiert man Lawinen und einen unbemerkten Tod. Aber wenn man in einem Palast ein Risiko eingeht, ist das wie ein waghalsiger Wurf beim Würfeln um den größten Topf im Casino.»
    Er erhob sich und ging auf und ab. Bei jedem seiner langsamen, nachdenklichen Schritte erklangen zwei entsprechende Geräusche deutlich auf dem Parkett – Zehen folgten auf Fersen. «Und der Topf, Madame, ist Österreich. Die Zukunft seiner Freiheit. Wenn wir beim Würfeln gewinnen, können wir vielleicht die Untertanen des Kaisers von der Unterdrückung durch Graf Pergen befreien. Wir könnten ihnen dann die Freiheit geben, zu denken und zu sagen, was sie wollen. Um in den tiefen Wahrheiten der neuen Naturwissenschaften zu schürfen.»
    Ich ahnte, dass ich es sein könnte, die, dem Zufall überlassen, in den Händen des Barons geschüttelt und dann über den Spieltisch geworfen werden würde.
    «Unser Kaiser Leopold traut Pergen nur so weit.»
    Swieten tippte mit dem Zeigefinger auf die Medaille, die seine Jacke schmückte, das rote und goldene Ritterkreuz des Stephansordens. «In meiner Eigenschaft als kaiserlicher Bibliothekar und Leiter der Zensurbehörde gewähre ich Verlegern von Büchern und Broschüren beschränkte Freiheiten. Diese Beschränkungen passe ich stets aufs Neue an.»
    «Auf welcher Grundlage?»
    «Meinen letzten Gesprächen mit dem Kaiser. Ich führe seine politischen Entscheidungen insoweit aus, wie sie meinen eigenen Überzeugungen entsprechen. Für Pergen gilt dasGleiche. Er darf sein Spionagenetzwerk knüpfen, Umstürzler verhaften und bestrafen. Aber er darf nicht die Grenzen dessen übertreten, was Kaiser Leopold für zivilisiert hält.»
    «Hat er das je getan?»
    Der Baron setzte sich auf die Sofalehne. «Der Kaiser hat Pergen in diesem Jahr bereits einmal getadelt. Ein Verleger hat einige regierungskritische Broschüren veröffentlicht. Pergen hat dafür gesorgt, dass das Geschäft des armen Mannes völlig ruiniert wurde. Aber er ist zu weit gegangen. Der Kaiser hat ihn gezwungen, den bankrotten Burschen zu rehabilitieren. Was wäre, wenn man ihm nachweisen könnte, dass er etwas getan hat, was sich nicht mehr rückgängig machen lässt?»
    Die Würfel lagen in den Händen des Barons. Gleich würde der Wurf folgen. «Mord», murmelte ich.
    «Genau. Wenn man dem Kaiser Beweise liefern könnte, dass Pergens Agenten eine prominente Figur wie Wolfgang ermordet haben, würde das den Kaiser dazu zwingen, seinen Polizeiminister zu entlassen.»
    Mach deinen Wurf, dachte ich. Ich bin bereit.
    «Euer Gnaden, ich stehe zu Ihrer Verfügung. Was auch immer Sie von mir verlangen, werde ich unverzüglich und bereitwillig ausführen. Wenn Sie wollen, dass ich dem Kaiser einen Brief schreibe, in dem ich detailliert ausführe, was ich in Erfahrung gebracht …»
    «Einen Brief?» Swieten winkte ab und schüttelte den Kopf. «Bringen Sie nichts zu Papier. Reden Sie mit niemandem darüber.»
    Ich knickste. «Ich erwarte in meinem Gasthof Ihre Anweisungen.»
    Er griff nach meinem Handgelenk. «Nein, Sie haben recht, dass es gefährlich ist. Ich kann nicht zulassen, Sie allein in einem öffentlichen Gasthaus sitzen zu lassen. Dort wären Sie schutzlos.»
    «Aber ich muss …»
    «Sie bleiben hier. Ich versichere Ihnen, dass ich einen Weg finden werde, dem Kaiser diese Neuigkeit zuzuspielen. Um zu beweisen, was Pergen getan hat. Sie werden hier nicht lange zurückgehalten werden.»
    Ich vertraute ihm, was meine Rolle in diesem riskanten Unternehmen betraf. Aber ich fragte mich auch, ob er nicht noch einen anderen Grund dafür hatte, mich im Palast zurückzuhalten. Ich kannte ihn als einen Ehrenmann, aber Gedanken, die nicht voller Schuld sind, müssen nicht unbedingt frei von Fehlern sein. Je länger ich bei ihm war, desto stärker befürchtete ich, dass mein eigenes Vergnügen an seiner Gesellschaft die Kraft meines Schamgefühls, mich zurückzuhalten, übersteigen könnte.
    Er führte mich durch eine hohe, vergoldete Tür in seinen Salon. Der Raum war nur vom Kaminfeuer und Mondlicht erleuchtet. Er ließ mich im Dunkeln am Fenster stehen und ging durch den orangefarbenen Feuerschein.
    Er schob auf seinem Schreibtisch einen Papierstapel

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