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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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alles, was ihn betraf, erinnerte, an seine Stimme und an sein Lachen. Würde er in zehn Jahren vollständig aus meinem Gedächtnis verschwunden sein? Oder bereits in einem Jahr?
    «Er war der Einzige, der mir Erfüllung gewünscht hat», sagte ich. «Als er nach Wien zog, schrieb er mir, dass ich ihm folgen sollte. Er war sich sicher, dass ich hier als Pianistin und Klavierlehrerin meinen Lebensunterhalt hätte bestreiten können.»
    «Du warst noch unverheiratet?» Das Gesicht des Barons war erfüllt von dem, was hätte gewesen sein können, wären wir uns damals begegnet.
    «Mein Vater war allein. Ich konnte ihn nicht in Salzburg zurücklassen.»
    Swietens Stimme klang ungeduldig, als würde ich ihn von mir weisen und nicht einfach nur widersprechen. «Um Himmels willen, dafür gibt es doch Diener.»
    Ich flüsterte. «Und, wie es scheint, auch Töchter.»
    Er atmete tief durch. «So scheint es.»
    «Wolfgang hat mich immer verstanden. Weil er anders als ich keinen Pflichten nachkommen musste, sah er viel klarer als ich selbst, was gut für mich war.»
    Der Baron umklammerte meine Hüfte, als fürchtete er, ich könnte ihm entschlüpfen und das Zimmer verlassen.
    «Erst als ich nach Wien kam, ist mir klar geworden, wie sehr er mir gefehlt hat», sagte ich. «Als ich in den Bergen drei Jahre lang keine Briefe mehr von ihm bekam, tröstete ich mich über seine Abwesenheit hinweg, indem ich seine Musik spielte. Sie war alles, was ich von ihm wusste, und das schien zu genügen. Aber in dieser Stadt war er nicht nur ein Name auf einer Komposition. Er war Pianist, er war ein Mann, der zu Abend aß und Billard spielte und seine Frau liebte und der starb. Jedermann war sein Freund – oder sein Feind.»
    «Bedauerst du, gekommen zu sein?»
    In der Frage des Barons hörte ich eine Bitte. Ich lächelte zustimmend. «Wien hat all meine Erinnerungen an Wolfgang wachgerufen. Das magische Königreich, das wir uns auf unseren ersten Reisen in der Kutsche ausdachten, als ich zwölf war. Das Zimmer, das wir uns in unserem Haus in der Getreidegasse in Salzburg teilten – um mich abzuschirmen, hatte mein Bett einen Vorhang, um den er sich aber kaum scherte. Die Zeit, als ich mich in Holland mit Typhus ansteckte und so krank war, dass man mir schon die Sterbesakramente gab. Wolfgang scherzte, dass ich auf ewig ein Wunderkind geblieben wäre, wenn ich nicht genesen wäre.»
    «Um Gottes willen.»
    Ich legte Swietens Hand in meinen Schoß. «Ich erinnere mich auch, wie er mich ansah, als Papa mit ihm zu einer Italienreise aufbrach. Seine Vorfreude war ein wenig vom schlechten Gewissen getrübt, dass ich zurückbleiben musste. Ich hasste ihn abgrundtief und ging eine Woche lang unter Tränen zu Bett.»
    «Und dennoch wollte er, dass du nach Wien kommst.»
    «Für das Zerwürfnis zwischen uns ist unser Vater verantwortlich.» Ich musste eine Pause einlegen, musste ein Schluchzen unterdrücken und das begreifen, was ich soeben gesagt hatte, obwohl ich es schon seit Langem wusste. «Wolfgang wollte nur komponieren und auftreten. Aber als er sich von Papa löste, wollte er, dass ich mit ihm komme. Er wollte, dass auch ich mein musikalisches Können ganz ausschöpfe. Ich sollte an seiner Seite sein, wenn er seinen eleganten roten Rock trug und vor Publikum am Klavier saß.»
    «Wolfgangs Tod wäre für uns ein noch größerer Verlust gewesen, hätten wir dich nicht entdeckt.»
    Ein Bild stieg in mir auf – ich saß neben Wolfgang auf dem Klavierhocker und spielte mit ihm seine Sonate für vier Hände in D-Dur. Er schrieb sie für uns beide, damit wir sie gemeinsam auf einer Tastatur spielten. Sein roter Ärmel griff über meine linke Hand, um eine höhere Note anzuschlagen.
    «Ich bin ein schlechter Ersatz, Gottfried», murmelte ich zerstreut.
    Swieten schlug die Augen nieder, als ich ihn mit Vornamen ansprach.
    In meinem Kopf ging die vierhändige Sonate zu Ende. Wolfgang und ich spielten den Schlussakkord und hoben gleichzeitig die Arme.
    So schnell, wie der Akkord das Stück beendete, richtete ichmich auf dem Diwan auf. «Aber ich bin es nicht!», rief ich. «Bin ihm nicht unterlegen. Ich bin ihm gleich.»
    Ich nahm Swietens Gesicht in die Hände und küsste es. Entgegen seiner üblichen Förmlichkeit lachte er. «Was soll das?», sagte er.
    Ich breitete die Arme aus. «Morgen wird Mozart vor dem Kaiser spielen.»
    «Tatsächlich?»
    «Du wirst es arrangieren.»
    «Wie Ihr wollt, Maestro. Was wirst du spielen?»
    «Das weiß ich noch

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