Mozarts letzte Arie
nicht. Aber ich weiß genau, was ich anziehen werde.»
33
Aus dem Kutschenfenster des Barons sah ich die Dienstmädchen in ihren grauen Schals und weißen Hauben zur Arbeit gehen. Ihre Gesichter leuchteten hell und schön in der Dämmerung. Die Wolken, die seit meiner Ankunft in Wien den Himmel bedeckt hatten, rissen auf. Die Morgensonne beschien die Fassaden der Paläste und hob deren kunstvolle Details hervor.
Die Kutsche überquerte den Schlosserplatz, umfuhr den Klotz in der Platzmitte, wo der Lehrling einst ein unbezwingbares Schloss geschmiedet hatte. Als Lohn für die geheime Kunst hatte Satan die Seele des Handwerkers gefordert. Durchgeschüttelt von den Pflastersteinen lehnte ich mich lächelnd auf der gepolsterten Bank zurück.
In diesem Moment wusste ich, was ich dem Kaiser vorspielen würde.
Lenerl kniete in meinem Zimmer vor dem Ofen und schürte das Feuer. Wegen meines späten Eintreffens zog sie eine Augenbraue hoch. Ich lachte so befreit, dass sie sich darüber wohl noch mehr wunderte als über den Zeitpunkt meiner Rückkehr.
Ich warf meinen Mantel aufs Bett und ließ mich auf die Nackenrolle fallen. «Lass das jetzt gut sein mit dem Feuer, Mädchen. Lauf zu Baron van Swietens Gemächern. Hol dort ein Päckchen für mich ab.»
Lenerl klopfte sich an den Knien den Staub aus dem Rock.
«Beeil dich, Mädchen, beeil dich», sagte ich lachend.
Sie lächelte über meine gute Laune, nahm ihren Schal und verließ das Zimmer. Ich hörte das Klappern ihrer Holzpantinen draußen auf dem Pflaster des Platzes.
Auf meinen Kleidern lag noch der Jasminduft von Swietens Umarmungen, Wolfgangs Parfüm. Ich stellte mich vor den Spiegel auf der Schminkkommode.
Ich öffnete mein Haar und kämmte es über die Schultern herab. Es reichte mir fast bis zur Hüfte. Ich flocht es zu einem Zopf und hielt ihn mit der Hand fest. Ich griff zu einer Schere.
Mein langes, blondes Haar, stets mit bunten Bändern zusammengebunden, war mein ganzer Stolz gewesen. Ich hatte ihm so viel Aufmerksamkeit geschenkt, dass ich manchmal nicht einmal mehr darüber nachdachte, was in dem Kopf vorging, von dem es herabhing. Ich setzte die Schere an und schnitt mit langsamen Bewegungen.
Als ich den Zopf auf die Schminkkommode legte, fühlte sich mein Kopf leicht an.
Ich raffte das verbliebene Haar in den Nacken und band es mit einer schwarzen Schleife zusammen. Ich war wieder
er,
wie ich in St. Gilgen er gewesen war, als ich, den Brief, der mich über sein Ableben informierte, in der Hand, vor dem Spiegel gestanden hatte. Dies war nicht die Totenmaske, auf der sich seine letzten Leiden abzeichneten. Im Spiegel erblickte ich all die Kreativität und Freude, die ich mit Wolfgang geteilt hatte. Ein Schnitt mit der Schere hatte mich von der Last des Frauseins befreit. Niemand hätte es gewagt, diesem Gesicht das Talent, über das ich verfügte, abzusprechen und ihm zu befehlen, sich einem alternden Vater zu widmen und in einem winzigen Dorf einen Bürokraten zu heiraten. Dieses Gesicht konnte die Hofburg betreten. Dieses Gesicht konnte neben Baron Swieten einhergehen und den Kaiser begrüßen.
Ich lächelte in den Spiegel. «Maestro», sagte ich.
Lenerl kam mit dem Päckchen zurück, öffnete es und legte seinen Inhalt aufs Bett. Als sie den langen Zopf auf der Schminkkommode sah, stieß sie einen Seufzer aus.
Ich strich mit der Hand über Wolfgangs roten Gehrock. Eins seiner Haare haftete noch an der Schulter. Ich ließ es da. Ich drehte seinen Hut um und sah die Schweißspuren, die das Band gefleckt hatten. Der Saum der roten Hose war von den Bewegungen seiner Beine ausgefranst. Der Anzug bewahrte das Leben meines Bruders.
«Entkleide mich, Lenerl.»
34
Im Schankraum pfiff der Wirt eine Melodie aus Wolfgangs
Figaro
vor sich hin.
Lenerl schlich zum Treppenabsatz. Sie signalisierte mir mit der Hand zu warten. «Joachim», rief sie, «bring mir eine Flasche von deinem köstlichen Steinfeder.»
«Ein frühes Mittagessen, Lenerl?», sagte er. «Ich hol sie dir sofort aus dem Keller, meine Liebe.» Er stieg singend die Kellertreppe hinab. «
Wenn du tanzen willst, kleiner Graf, spiel ich Gitarre für dich.
»
Lenerl winkte mir, mich zu beeilen. Ich folgte ihr nach draußen zur Kutsche des Barons.
Ich stieg ein. «Wie sehe ich aus?» Ich nahm meinen Hut ab und legte ihn neben mich auf den Sitz.
Swieten stützte das Kinn auf den Silberknauf seines Gehstocks und schüttelte den Kopf. «Du siehst aus wie – wie Wolfgang.» Er streckte
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