Mozarts letzte Arie
das?»
«Die Leute verhalten sich, als wäre ich so taub wie blind», sagte sie. «Sie denken, ich wüsste nicht, wer sie sind, wenn sie flüstern. Aber ich habe die Stimme klar erkannt. Ich gebe seiner Frau Klavierunterricht, und ich habe oft im Salon seiner Schwiegermutter gespielt.»
«Wer war es?»
«Prinz Lichnowsky.»
Im Haus des Mannes, der zu mir gesagt hatte, der Prinz seiein Halunke? Welche Beziehungen pflegte Lichnowsky zum preußischen Gesandten? Und was wusste Pergen seiner Ansicht nach?
Paradis streckte die Hand aus. Ich ergriff sie. «Sie müssen vorsichtig sein, Nannerl. Wolfgang hat sie bis zum Schluss lieb gehabt. Seien Sie vorsichtig, um seinetwillen.»
Paradis berührte meine Wange. Meine Tränen liefen ihr über die Hand. Sie führte mich zur Treppe der Krypta und schob mich vor sich her.
Im Querschiff der Kirche kämpfte sich das graue Abendlicht durch die Fenster.
«Wolfgang hat ein Rätsel geschrieben», sagte ich. «Wenn es sich dabei nicht um Sie handelt …»
«Ich bin nicht gut beim Rätselraten. Ich bin blind. Ich verachte alles, was es schwerer macht, die Wahrheit zu erkennen.»
In der ersten Reihe der Kirchenbänke stand das italienische Dienstmädchen auf. Sie wandte sich zum Altar, bekreuzigte sich und nahm die blinde Frau an den Arm.
Als die Tür knarrend hinter ihnen zufiel, spürte ich einen Luftzug im Rücken. Er schien aus dem Eingang zur Krypta zu wehen. Ich eilte durch den Gang hinaus in die tiefer werdende Dunkelheit.
31
Ganz Wien schien so leblos wie die Krypta unter St. Michael zu sein, als ich durch die Arkaden vor der Spanischen Hofreitschule ging. Im Zwielicht lugten die langen, grauen Köpfe der Lipizzaner geisterhaft aus den Ställen hervor. Marktfrauen schlurften schweigsam und erschöpft am Ende des Tags heimwärts. Die Luft war still und eisig.
Im großen Kamin der Pförtnerloge der kaiserlichen Bibliothek flackerte das Feuer. Ich eilte die Treppe hinauf und ging durch den Saal zu Baron Swietens Gemächern.
Der Baron erhob sich vom Esstisch. Er zog sich eine Serviette vom Hals und band den Gürtel des grünen seidenen Hausmantels enger, den er über seiner Kniehose trug. Er ergriff meine Hände und berührte die Knöchel mit den Lippen. Erst in diesem Moment wurde mir klar, dass er es missverstehen konnte, wenn ich ihn am Tag, nachdem er seine Liebe angedeutet hatte, ohne Begleitung aufsuchte.
Er deutete auf den Tisch. «Würden Sie mir Gesellschaft leisten? Ich bin sehr glücklich, dass Sie gekommen sind. Nach der Totenmesse habe ich Sie in der Menschenmenge aus den Augen verloren. Ich esse Uccellini. Das war eins von …»
Er zögerte und blickte auf die Platte neben dem Kerzenhalter. Ein Salbeiblatt ragte aus einer Kalbsroulade heraus. Eine Schinkenspirale war wie eine Wunde ins helle Fleisch eingerollt.
«Eins von Wolfgangs Leibgerichten», sagte ich.
Er berührte mit dem Daumen seine Lippen.
Ich schaute zur Tür, neben der mit abgewandten Augen ein Lakai stand.
«Das ist alles», sagte der Baron.
Der Lakai schlug die Hacken zusammen und verließ den Raum.
«Mein lieber Baron», sagte ich, «Angst treibt mich zu Ihnen.»
Nicht Liebe? Ich
konnte ihm die Frage von den Augen ablesen, als stünde sie dort geschrieben. Ich wusste nicht, ob meine Antwort auch so deutlich geschrieben stand, doch las ich auf seinem Gesicht die Antwort, die er fand. Das Licht, das ihn aufleuchten ließ, als ich das Zimmer betreten hatte, erlosch.
Nein, nicht Liebe.
Ich erzählte ihm, was ich über die preußische Verbindung zu Wolfgangs
Grotte
erfahren und dass der König in Berlin versucht hatte, meinen Bruder auszunutzen, um die Wiener Gesellschaft zu infiltrieren.
«Ich fürchte, jemand hat Wolfgang vielleicht für einen Spion gehalten», sagte ich.
«Das ist möglich.»
«Aber wenn derlei Umtriebe aufgedeckt worden sind, wer hätte – wer hätte ihn dann bestraft? Graf Pergen, dessen Aufgabe darin besteht, ausländische Agenten zu beseitigen? Oder der König von Preußen, um Spuren zu verwischen?»
Er führte mich zu seinem Sofa. Als er sich neben mich setzte, wehte mich sein Jasminduft an. Ich erinnerte mich an das Parfüm auf seinem Taschentuch, als ich mir am Schluss der
Zauberflöte
die Freudentränen abgetrocknet hatte. Im Kaminfeuer brach ein Scheit, und ich zuckte zusammen.
«Diese Mitteilung ist sehr wichtig, Madame», sagte er.
«Euer Gnaden, sie scheint mir auch höchst gefährlich zu sein.»
Er grinste. «Am kaiserlichen Hof ist nichts
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