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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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fragte mich, wie nahe Paradis Wolfgang gestanden hatte.
    «Warum schwebe ich in Gefahr?», sagte ich. «Wegen der
Grotte?
»
    «Wegen was?»
    «Die Grotte.
Die Freimaurerloge, die er gründen wollte. Sie wollte er zum ersten weiblichen Mitglied machen. Ich bin mir ganz sicher. Aber vielleicht wollen Sie ja nicht, dass das jemand erfährt. Wegen der Beschränkungen, die der Kaiser dem Orden auferlegt hat.»
    Paradis lachte. «Wenn das Wolfgangs Absicht gewesen wäre, hätte ich abgelehnt.»
    «Das verstehe ich nicht.»
    «Ich bin in der Welt meinen eigenen Weg gegangen. Trotz meiner Blindheit. Obwohl ich eine Frau bin. Ich stand auf eigenen Füßen, indem ich als Musikerin arbeitete. Ich bin in London und Paris aufgetreten, habe hohe Honorare erhalten. Wenn ich mich Ihnen gegenüber ablehnend verhalte, dann deshalb, weil Sie eine Begabung hatten, die meiner zumindestens ebenbürtig war, aber Sie haben sich nie die Freiheit genommen.»
    «Ich musste mich um meinen Vater kümmern.»
    «Richtig, ich bin von niemandem jemals derart autoritär abgekanzelt worden wie von diesem alten Mistkerl.»
    «Madame.» Ich stampfte mit dem Fuß auf.
    «Ich bin Ihnen nicht vornehm genug? Soll ich es vielleicht lieber auf Französisch sagen? Ihr Vater hat sogar versucht, Wolfgangs Erfolg zu verhindern, weil er auf seine alten Tage umhegt werden wollte. Ihrem Bruder wäre die Flucht beinahe missglückt. Aber Sie haben es erst gar nicht versucht.»
    Ich lehnte mich gegen die Wand. Mein Nacken wurde kalt.
    «Männer zerstören Frauen. Sie weigern sich, unsere Fähigkeiten anzuerkennen. Sie ruinieren unsere Körper und unsere Gesundheit mit ihren mitternächtlichen Zudringlichkeiten und den ständigen Schwangerschaften, die daraus resultieren. Ich bin solchem Elend aus dem Weg gegangen. Deshalb war ich dazu in der Lage, einen erfolgreichen Werdegang zu beschreiten. Für meinen Erfolg habe ich nie den Beistand eines Mannes in Anspruch genommen, weil man solchen Beistand beinahe mit dem eigenen Leben bezahlen muss», sagte Paradis. «Mich hat auch nie ein Mann zurückgehalten. Freimaurerei? Ich brauche keine Bruderschaft.»
    «Und was ist mit Freundschaft?»
    Sie winkte ab. «Ich bin blind. Ich bin es gewohnt, allein zu sein, selbst dann noch, wenn ich von vielen Menschen umgeben bin. Deshalb komme ich in diese Krypta. Dort oben in der Kirche ist der Tod ein Spektakel. Ein Requiem von Maestro Mozart, ein schöner Abschiedsgruß. Hier unten sehe ich besser als jeder andere.
Dies
ist die Realität unseres Lebens – eingeschlossen in unsere Särge, mürbe und machtlos. Die Musik erfüllt mich mit Schönheit, und es macht mir nichts aus, wenn sich die Leute von meinen rollenden Augäpfeln abwenden. Die Toten beurteilen mich anders als die Lebenden.»
    Sie ließ das Kinn sinken. Ich spürte die Einsamkeit, die sie in solch grauenhafte Gesellschaft trieb.
    «Ich muss gehen. Ich reise nach Berlin.» Paradis schien zu überlegen, ob sie noch etwas sagen sollte.
    Ich hielt den Atem an und wartete.
    «Der preußische Gesandte hat mich beauftragt, einige Stücke Wolfgangs darzubieten. Eins davon, behauptet er, sei bislang unbekannt. Er hat es von der Witwe Mozart erworben», sagte sie.
    Ihr gepudertes Gesicht zuckte unentschlossen. Dann schien sie sich zu entspannen. «Ich war heute in der Residenz des Gesandten. Er gab mir den Auftrag und Befehl, so schnell wie möglich nach Berlin abzureisen.»
    «Ich kenne das neue Stück. Ich habe es heute Mittag selbst gespielt.»
    «Während ich dort war, kam jemand anderes ins Zimmer. Er stieß die Worte ‹Pergen weiß es› aus.»
    Ich wollte etwas sagen, aber Paradis hob die Hand, und ich schwieg.
    «Der Gesandte und der Neuankömmling wurden still, als hätte der Preuße durch eine Geste oder vielleicht einen Blick signalisiert, dass er nicht allein war. In ihrem Schweigen lag etwas Nervöses und Geheimnistuerisches. Ich wusste, dass es meine Anwesenheit war, die ihre Zurückhaltung auslöste. Dann erinnerten sie sich daran, dass ich sie nicht sehen konnte, und ich spürte, wie die Anspannung nachließ. Der Gesandte stand auf und ging zur Tür. Der Besucher flüsterte ihm ein paar Worte zu. Er sagte: ‹Ich kann nicht mehr.› Der Gesandte sagte, er solle in einem anderen Zimmer auf ihn warten. Er bat ihn nicht darum; er befahl es ihm ziemlich nachdrücklich. Dann verabschiedete er mich mit einem Vorschuss für die Reise.»
    Ich runzelte die Stirn. «Pergen weiß es? Ich kann nicht mehr? Was bedeutet

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