Mr. Chartwell - Hunt, R: Mr. Chartwell
mit Disteln. Dass er die Nacht schon wieder schlecht geschlafen hatte, zehrte ebenso an ihm wie die Episode am Teich, und jetzt fühlte er sich nur noch gelähmt und verdrossen. Er sehnte sich, nach Hause zurückzukehren, nach Chartwell, und im Sanatorium seines Bettes mit einem Brandy auszuspannen.
Ein allgemeines Papiergeraschel zeigte das Ende der Sitzung an.
»Gut«, sagte Douglas-Home. »Jetzt, wo wir alle über die Sache im Bilde sind, schlage ich vor, dass wir uns an die Arbeit zurückbegeben. Vielen Dank, meine Herren.«
Churchill erhob sich steif von seinem Stuhl, die Zigarre im Mund erloschen. Er setzte seinen schwarzen Bowker-Hut auf, warf sich den Mantel über den Arm und stampfte dann mit lautem Absatzknallen, das von den Minton-Zierfliesen der Gänge widerhallte, durch das neugotische Labyrinth des Westminster Palace zum draußen wartenden Wagen. Nachdem die Zigarre auf dem Rücksitz wieder angezündet war, füllte helles Rauchgekräusel das Coupé. Churchill starrte düster durch die Scheibe, als der Wagen sich in Bewegung setzte. »N.U.L., N.U.L.«, sagte er vor sich hin.
»Wie bitte, Sir?«, fragte der Fahrer.
Churchill lächelte. »Nichts weiter, mein Guter, nichts weiter. Nur ein Ausdruck, den ich in problematischen Zeiten gebrauche, um mich aufzubauen.«
»N.U.L.?« Der Fahrer warf ihm im Rückspiegel einen Blick zu. »Ist das eine politische Abkürzung?«
»Ha, nein. Nichts dergleichen. Das steht für ›Nicht unterkriegen lassen‹.«
Sie bogen um eine Kurve, und die Augen des Fahrers kehrten zur Straße zurück. »Klingt mir nach einem sehr guten Rat, Sir.«
»Auf jeden Fall«, sagte Churchill, »ist das ein Grundsatz, an den ich mich halte. Jawohl, nicht unterkriegen lassen.«
7
18 Uhr
D as Pflaster und die Mauern von Westminster strahlten Wärme ab, nachdem sie stundenlang von der prallen Sonne gebacken worden waren. Das bis zu den gelben Wurzeln ausgedörrte Gras knirschte unter den Füßen. Ein Sandsteinweg brachte Esther zur eisernen Pforte des Black Rod’s Garden Entrance. Sie quietschte in den Angeln. Durch den Wechsel von der kühlen Bibliothek zur heißen Straße flimmerten ihr Pünktchen vor den Augen. Sehr gemächlichen Schritts ging Esther zu ihrem Auto. Sie trank einen Schluck warme Fanta aus der Flasche und war davon angeekelt.
Das bevorstehende Treffen mit Mr. Chartwell war eine schreckliche Aussicht, eine in der Luft hängende Drohung. Doch erstaunlicherweise war der Gedanke, er könnte nicht kommen und sich nie wieder blicken lassen, genauso schrecklich. Beide Schrecken kämpften um die Vorherrschaft. Schließlich war einer geschlagen und unterwarf sich dem anderen. Insgeheim wollte sie, dass Mr. Chartwell zu ihr nach Hause kam, erkannte Esther beim Anlassen des Motors frappiert. Sie stellte den Motor wieder ab, um sich eine ruhige Minute zu gönnen und die Tatsachen vor Augen zu führen.
Seit langem schon wehten die Wochen ihres Lebens vorbei wie Gespenster. Selten gab es einen Aufschwung, etwa wenn sie einmal essen ging oder ins Kino, doch die Freude war nicht von Dauer und zerbrach an der Monotonie der einsamen Gespenstertage. Nun aber war der höchst ungewöhnliche Mr. Chartwell aufgetaucht und warf ihre elende Routine über den Haufen. Es war ein scharfes und starkes Nerventonikum.
Zu Hause lief sie umher wie ein Tier im Gehege und konnte vor Aufregung nichts tun. Es war eine Erlösung, als es endlich an der Tür klingelte und sie wusste, dass die bekannte Matratzensilhouette davorstand und ihren Flur verdunkelte.
»Guten Tag, Mrs. Hammerhans«, sagte Mr. Chartwell. Er reichte ihr den Strauß schlaffer Nelken, den er hielt, und stand dann laut hechelnd da. Als Esther ihm ein Glas Wasser anbot, griff er hinter sich, wo eine Flasche Mateus Rosé auf der Türstufe stand. »Ich dachte, Sie mögen vielleicht einen Schluck Wein.«
»Oh«, sagte Esther überrascht und fragte sich, wo er den wohl gekauft hatte. »Das klingt verlockend.« Nach kurzem Zögern fügte sie hinzu: »Sagen Sie Esther zu mir. Sie müssen mich nicht Mrs. Hammerhans nennen.«
In der Küche lehnte er sich linkisch und unsicher mit der Pfote an die orangen Kacheln über dem Tresen, während Esther die Gläser holte. Sie sagte: »Was halten Sie davon, wenn wir uns mit dem Wein in den Garten setzen? Es ist ein schöner Abend.«
Mr. Chartwell murmelte etwas Zustimmendes und tappte manierlich, aber so dicht hinter ihr her, dass Esther den Impuls bekämpfen musste, auf weichen Tintenfischbeinen
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