Mr. Fire und ich (Band 6)
Blick voller Verachtung, als er zu Daniel schweift, wird er ein bisschen milder und als er schließlich bei Camille anlangt, ist er mit Liebe erfüllt. Mich lächelt sie offen an, aber dieses Lächeln verliert etwas an Kraft, als sie Haydées Blick kreuzt. Und als sie schließlich Jérémie ansieht ...
Was ist das für ein Gefühl? Hoffnung? Furcht? Bewunderung? Vermutlich von allem ein bisschen.
Die Stille, die sich Agathe jahrelang auferlegt hat, scheint ihre Intuition geschärft zu haben. Auch ich habe kein Vertrauen zu Haydée. Daniels Mutter hat mich schon vom ersten Tag an auf die Palme gebracht, während ich für seinen Vater eine tiefe Zuneigung empfinde. Was Daniel betrifft, so gehören die Gefühle, die er bei mir hervorruft, mir allein.
Agathe geht auf Jérémie zu. Er richtet die Waffe bedrohlich auf seine Familie, aber das scheint sie nicht zu kümmern. Als wäre sie von alldem nicht betroffen. Im Gegensatz zu Daniel, der sich im Zaum halten muss, um ruhig zu bleiben, strahlt Agathe eine unglaubliche Gelassenheit aus. Sie macht sich bereit, als Freundin mit ihm zu sprechen. Als große Schwester.
„Dass du all diese Jahre versorgt werden konntest, hast du ihm zu verdanken.“
Jérémie schenkt ihr das Lächeln eines Wahnsinnigen.
„Schwesterlein! Du sprichst! Das ist ja nett! Hast du sie wenigstens überrascht?“
Agathe lächelt zurück. Für einen kurzen Moment spiegelt sich eine Art geheimes Einverständnis in den Augen der beiden Geschwister.
In Anbetracht der Situation ist das keineswegs beruhigend ... Auf wessen Seite steht Agathe?
„Zwei von dreien ... Zwei meiner drei Kinder sind verrückt!“
Wie alle anderen auch drehe ich mich zu Diane um. Sie hat sich aufgerichtet und versucht, so gut sie kann, wieder eine würdige Haltung einzunehmen, indem sie an ihrem Rock zieht, dessen Saum aufgeplatzt ist, und ihre Jacke richtet, die an mehreren Stellen zerrissen ist. Aber damit imponiert sie kaum jemandem. Die katastrophale Wirkung ihrer letzten Worte auf Jérémie, den das Einschreiten seiner Schwester beinahe beruhigt hätte, scheint ihr zu entgehen. Mit von Neuem hasserfüllten Augen richtet er den Revolver auf seine Mutter.
„Halt den Mund! Ich habe dir nicht erlaubt zu sprechen!“
„Ich verlange, dass du uns sofort freilässt!“
Sie hat recht: Er ist verrückt. Aber genau aus diesem Grund würde ich nicht in diesem Ton mit ihm sprechen ...
Er packt seine Mutter am Kinn und brüllt ihr ins Gesicht:
„Ich ... habe ... dir ... gesagt ... du ... sollst ... den ... Mund ... halten!“
Die Pistole immer noch auf sie gerichtet, nimmt er ein bisschen Abstand und scheint nachzudenken. Schließlich fährt er fort, in fiebrigem Tonfall:
„Das heißt ... nein ... gute Idee! Sprich, Mutter! Erkläre mir doch, warum ich deiner Meinung nach nicht die Anforderungen erfüllt habe, um dein Sohn zu bleiben! Denn schließlich ... hast du mir doch das Leben gegeben! Ja, Mutter! Es ist Zeit, mir Antworten zu liefern!“
Jérémies Augen quellen hervor. Er ist total vom Wahn ergriffen. Aber hinter ihm hält Haydée Wache. Obwohl sie nicht bewaffnet ist, erscheint mir ihr Scharfsinn beunruhigender als der Irrsinn ihres Mannes. Zu zweit müssen diese beiden zum Fürchten sein ... Diane hat nicht dasselbe Charisma wie ihre Kinder. Angesichts der Raserei ihres Sohnes setzt sie sich zitternd wieder hin. Alle Blicke sind nun auf sie gerichtet. Nicht nur Jérémie wartet auf Antworten. Sie befeuchtet sich die Lippen, räuspert sich, sucht nach Worten ... Aber der Revolver kommt gefährlich näher. Also fixiert Diane einen Punkt hinter Jérémie und, ohne ihn anzusehen, beginnt sie zu sprechen:
„Du bist mein zweites Kind und mein erster Sohn. Bei deiner Geburt war ich außer mir vor Freude. Doch sehr schnell, als selbst dein Vater dich noch nicht zu Gesicht bekommen hatte, haben die Ärzte mein Glück zunichte gemacht: Eines Tages, so sagten sie mir, ohne zu wissen wann, würdest du sterben. Wie jeder andere Mensch auch, habe ich ihnen geantwortet. Aber nein: Du, du würdest bald sterben, viel schneller als jeder Durchschnittsmensch. Sie haben mir den Namen deiner Krankheit genannt, aber mein Geist hat sich geweigert, ihn zu behalten. Tatsächlich bin ich nicht in der Lage, dir zu sagen, woran du leidest.“
Sie atmet tief durch.
„Ach, tatsächlich? Dann lass mich dein Gedächtnis auffrischen, Mutter. Ich bin am Kleinhirnsyndrom erkrankt. Ich kann dir sogar sagen, wie sich das äußert: Störung
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