Mr. Fire und ich (Band 7)
erzählt, dass er noch nie umgezogen ist.
„Tom! Julia! Was für eine Freude, euch hier zu treffen!“
Von der anderen Straßenseite aus ruft Agathe Wietermann nach uns. Tom scheint genauso verblüfft wie ich.
„Agathe, was machst du denn hier in New York? Wann bist du angekommen?“
„Heute Morgen. Ich habe mich bereit erklärt, einen meiner langjährigen Kunden zu treffen. Er war sehr überrascht!“
Ich kann ihn verstehen!
In den letzten zehn Jahren ist Agathe nicht weiter als bis zum Torgitter von Sterenn Park gegangen, hatte aber zugleich über das Internet Kontakte in der ganzen Welt.
„Heute Abend kehre ich nach Sterenn Park zurück.“
„Weiß Daniel nicht, dass du hier bist?“
„Nein, wieso? Ich bin doch ein großes Mädchen!“
„Ja, natürlich!“
Ich fühle, wie ich rot werde. Tom, der einen Großteil unserer Konversation verstanden hat, lacht vor sich hin. Agathe nimmt ihn am Arm und beginnt, ihn nach Neuigkeiten zu fragen. Wann er denn sein Architekturstudium wieder aufnehme? New York biete tolle Möglichkeiten in diesem Bereich, aber San Francisco sei noch besser. Ob er schon in Erwägung gezogen habe, dorthin zu ziehen? Agathe könne ihn dort mit Freunden in Kontakt bringen. Sie laufen vor mir her. Ich beobachte sie mit einem gewissen Unbehagen. Ich fühle mich ins Abseits gedrängt, als wären sie von einer unsichtbaren Blase umgeben und von der Welt abgeschnitten. Zu keinem Zeitpunkt erwähnen sie Sarah. Obwohl wir noch vor wenigen Minuten von der Hochzeit gesprochen haben, scheint dieses Wort nun aus dem Gespräch verbannt.
Hatte Sarah am Ende doch recht? Sollte das Verhältnis zwischen Tom und Agathe doch mehr sein als nur Freundschaft?
Agathe trägt nur eine Jeans und einen Pulli. Sie ist eine dieser Frauen, die anziehen können was sie wollen, weil alles an ihnen toll aussieht. Ich habe sie noch nie im Abendkleid gesehen, könnte aber wetten, dass das Ergebnis einfach atemberaubend sein muss. Agathe versteckt ihr Alter nicht, sieht aber wesentlich jünger aus als eine Enddreißigerin. Dennoch ist der Altersunterschied zwischen ihr und Tom frappierend. Falls ihr das bewusst sein sollte, scheint es sie nicht im Geringsten zu stören. Wie schon in Sterenn Park ist Tom von allem, was Agathe erzählt, wie gebannt.
Verärgert huste ich ein paarmal, um auf mich aufmerksam zu machen. Als ich mich zu ihnen geselle, schweigen Agathe und Tom.
„Hast du schon zu Mittag gegessen?“, frage ich Agathe höflich.
„Noch nicht. Im Übrigen habe ich Hunger. Ich glaube, im Internet gesehen zu haben, dass hier in der Nähe ein Restaurant eröffnet wurde. Da lang, denke ich. Kommt mit, ich lade euch ein.“
Ich will gerade ablehnen, da antwortet Tom schnell:
„Was für eine hervorragende Idee!“
Wenn er meint…
Wir gehen schneller. Für jemanden, der die Stadt nur über Google Maps kennt, findet sich Agathe überaus gut zurecht. Ein paar Minuten später stehen wir vor der Fassade eines schicken und gemütlichen Restaurants. Und zum zweiten Mal innerhalb von zwei Tagen bricht meine Welt zusammen. Durch das Fenster erkenne ich Daniel. Er isst zusammen mit Clothilde de Saint-André. Ich traue meinen Augen nicht. Das ist ein Albtraum.
Clothilde ist genauso schön wie auf dem Foto in dem Magazin. Ihre langen braunen Haare sind zu einem strengen Knoten hochgesteckt und sie trägt ein schwarzes Kostüm, das ihren zarten, hellen Teint hervorhebt. Ihr Make-up ist geschmackvoll und dezent. Nur ein dunkelroter Lippenstift bietet einen Kontrast zu ihrem restlichen Gesicht. Sie lächelt und Daniel erwidert ihr Lächeln.
Das war also sein Termin!
Ich habe Daniel als einzige gesehen. Agathe fordert uns auf einzutreten. Tom hält ihr blitzschnell die Tür auf. Wie ferngesteuert folge ich ihnen. Ich zwinge mich, nicht in seine Richtung zu blicken. Ein Blick würde genügen, um die Situation noch schlimmer zu machen.
Eine Bedienung geleitet uns in ein Eck auf der anderen Seite des Restaurants. Clothilde und Daniel können uns nicht sehen, ich sie aber schon. Von meinem Standort aus kann ich die Szene in allen Details mitverfolgen. Es fehlt nur noch der Ton. Ich bin zu weit entfernt, als dass ich ihr Gespräch hören könnte. Sie scheinen sich aber gut zu amüsieren. Während wir bestellen, sehe ich mehrere Male, wie sie lächeln.
„Julia? Julia, was ist los? Ist alles in Ordnung?“
Agathe braucht mehrere Sekunden, um mich zu ihnen zurückzuholen. Das Essen kommt und ich sehe, wie vor mir ein
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