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Mr. Lamb

Mr. Lamb

Titel: Mr. Lamb
Autoren: Bonnie Nadzam
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komisch.«
    »Ich dachte schon, vielleicht hast du es auf mich abgesehen«, sagte er. »Du bist nicht in mich verknallt, oder?«
    »Ich mag den Regen.« Unter den Sommersprossen war die Haut rosa.
    »Verstehe.«
    »Bringst du mich zur Schule?«
    »Ich dachte, wir könnten heute mal die Schule ausfallen lassen. Hast du Lust?«
    »Mhm.«
    »Sollten wir Bescheid sagen? Aus Freundlichkeit gegenüber deinen besorgten Lehrern?«
    »Ich sag meiner Mom, dass mir schlecht war und ich zu Hause geblieben bin, dann schreibt sie mir morgen eine Entschuldigung.«
    »Hast du das schon öfter gemacht?«
    »Einmal.«
    Er warf ihr einen Blick zu.
    »Okay, zweimal.«
    »Ich verleite dich also nicht zu schlimmen Dingen?«
    »Nein.«
    »Sicher?«
    »Sicher.«
    »Ich vertraue dir da.« Er sah sie von der Seite her an. »Kann ich dir vertrauen?«
    »Ja.«
    »Handschlag?« Sie schlug in seine Hand ein.
    Er fuhr zwanzig Meilen nach Westen, in eine kleine Stadt an den Wasserfällen des Fox River, wo die Häuser einzeln, jedes auf seinem eigenen sanften grünen, mit gelben Blättern bestreuten Hügel, standen. Das Stadtinnere war eine krumme Linie von Geschäften mit Fassaden aus Backstein und Naturstein und Fenstern, die mit bunten Glasperlen oder mit Damastvorhängen drapiert waren. Die Gehwege waren leer und nass, niemand war unterwegs. Der Himmel war von einem lichtlosenZinngrau, und die Lampen in den Läden leuchteten gelb. Er zog sich das Jackett aus und legte es dem Mädchen über Kopf und Schultern, um sie vor dem feinen, kalten Regen zu schützen, dann reckte er den Hals und hob das Gesicht ins Wetter und lächelte, dass alle Zähne zu sehen waren. Er ging mit ihr in einen Süßwarenladen und füllte ihr eine braune Tüte mit Colaflaschen-Weingummi, Zitronendrops und saurem rotem Lakritz mit Zuckerkruste. Die Frau an der Theke verschloss die Tüte mit einem goldfarbenen Aufkleber und gab jedem von ihnen einen Karamellbonbon. Draußen führte er das Mädchen mit vollendeter Höflichkeit am Ellbogen, was sie zum Lachen brachte, und gab ihr die Tüte.
    »Ich möchte dich darauf aufmerksam machen, mein Fräulein«, – er räusperte sich und zog die Stirn kraus – »dass du Süßigkeiten von einem Fremden annimmst.«
    Sie nahm die Tüte. »Stimmt ja gar nicht.«
    »Hier kannst du was lernen«, sagte er und hielt sie am Arm. »Ein Mann sollte eine Dame immer am Arm führen und an der Innenseite gehen lassen.«
    »Warum?«
    »Als Rücksicht auf ihre Zartheit.« Er hob ihre Hand mit seiner und drehte das Mädchen in ihren Tennisschuhen um die eigene Achse. »Siehst du?«
    Er führte sie zwei schmale, regennasse Holztreppen hinunter zu dem Wasserfall, der sich über moosige Felsen stürzte, und dem breiten, schlammigen Fluss, der durch die Bäume strömte.
    »Guck«, sagte er. »Wenn man die Augen zusammenkneift und sich die Ohren zuhält, könnte man fast denken, es ist ein unerforschter Wald.«
    »Fast.«
    Er bückte sich und hob einen kalten flachen Stein auf. »Küss ihn.«
    »Den Stein?«
    »Ich schicke damit einen Wunsch los.«
    Sie küsste den Stein, und er ließ ihn drei-, vier-, fünfmal über das Wasser hüpfen.
    »Ich frage auch nicht, was du dir gewünscht hast.«
    »Sehr klug.« Er gab ihr einen Stein. »Du musst eine schöne junge Frau finden, die ihn für dich küsst«, sagte er. »Viel Glück dabei. Ich habe die letzte auf dieser Erde gefunden.«
    Sagen wir, danach habe er ihr eine teure Regenjacke gekauft. Es war eine nette Geste, dem Mädchen eine Jacke zu kaufen. Ihre hatte die Farbe flammend roter Eichenblätter und sieben Taschen, eine hübsche kleine Kapuze und gestreiftes Seidenfutter.
    »Ein bisschen zu erwachsen für mich«, sagte sie.
    »Na ja. Dann wächst du eben rein.« Er hielt ihr die Ladentür auf, helles Klimpern von den Glöckchen um den Türgriff erklang, und zog ihr die Kapuze über den Kopf. »Was wirst du deiner Mutter erzählen, wenn sie dich fragt, woher du die Jacke hast?«
    »Ich dachte, wir laufen weg.«
    Er lachte. »Sag ihr das lieber nicht.«
    »Ich habe es nicht so gemeint.«
    »Ich weiß nicht«, sagte er. »Vielleicht sollte ich die Jacke mitnehmen. Ich könnte sie dir zu deinem siebzehnten Geburtstag schicken. Vielleicht sollten wir uns eine Weile lang nicht mehr treffen. Was meinst du?«
    »Weil es komisch ist?«
    Er sah das Mädchen an. »Ja«, sagte er. »Weil es komisch ist.«
    Sie zuckte die Achseln.
    »Darf ich dich jetzt zu einem leckeren warmen Lunch einladen, und dann bereden wir
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