Mr. Lamb
Essen zu bestellen.«
»Was würden wir essen?«
»Gebratene Ente. Wildreis. Möhrchen in Butter. Warmes Brot und Pilzsuppe, und Bratäpfel. Wir würden einfach so lange hier sitzen bleiben, bis der Regen zu Schnee wird und die Straßen bedeckt und alle Kellner und Kellnerinnen nach Hause gegangen sind. Bis der Schnee auch die Fenster bedeckt und der ganze Raum blau ist und das Feuer ausgeht, und dann würde ich dir aus diesen hübschen roten Tischdecken ein kleines Nest bauen und dich warm zudecken.«
An all dem war doch nichts auszusetzen, oder? Wenn ein Typ wie er einem Mädchen wie ihr einen schönen Lunch bestellte und sie ein bisschen verwöhnte? Es tat ihr gut. Und für sein giftiges Herz war es eine kleine Erquickung. Oder? Warum sollte er das nicht haben? Es tat ihnen beiden gut. Und deshalb war es für alle gut – denn so war das mit dem Guten. Es verbreitete sich wie Wasser, sickerte in alle anderen hinein, in alles rundherum – in Bäume, Flüsse, Risse im Asphalt. Und, Herrgott, welch ein Gefühl, ihr in diese hübsche Jacke zu helfen und sie ihr bis zu ihrem sommersprossigen Kinn zuzuknöpfen!
Er verbrachte einfach einen Tag mit einem Mädchen. War es nicht so? Einfach ein paar harmlose Tage, und dann würde er sie wieder in Ruhe lassen. Er wäre der Kerl, von dem ein paar seltsame Schätze im Chaos ihres Kleiderschranks stammten. Bis Weihnachten hätte sie ihn längst vergessen. Aber als sie wieder in seinem Wagen saßen und auf dem Weg Richtung Osten waren, zurück in den Schmutz der Stadt, fuhr er plötzlich – wie ohne jede Vorwarnung aus ihm selbst heraus – langsamer und sah sie von der Seite her an.
»Was ist?«
»Möchtest du wirklich die Berge sehen?«
»Mhm.«
»Möchtest du mit mir in die Berge fahren? Eine Woche lang?«
»Wohin?«
»Das ist jetzt nicht nur Gerede. Ich meine es ernst. Es könnte riskant sein. Du könntest Ärger kriegen, wenn wir zurückkommen.«
»Eine Woche?«
»Eine kleine geheimnisvolle Reise in deinem geheimnisvollen Leben. Deine Campingreise. Etwas, das du in der Tasche hast, wenn dein Leben weitergeht und du vierzig Jahre alt bist und ich in meinem Grab liege. Verstehst du? Wie der Anspitzer. Wirkönnten in kleinen Restaurants essen, wie vorhin, und ganz weit weg fahren, uns alles genau angucken, und dann umkehren, und ich bringe dich nach Hause. Was sagst du dazu?«
»Ja.«
»Und ich verwöhne dich. Und du erzählst niemandem, wo wir waren. Schwörst du das?«
»Ich schwöre.«
»Auch nicht deiner Mom?«
»Auch nicht meiner Mom.«
»Auch Sid nicht?«
»Niemals.«
»Du musst es schwören.«
»Ich schwöre.«
»Auch deinem Mann nicht, in vierzig Jahren, wenn ich schon ewig tot bin.«
»Meinetwegen.«
»Hand aufs Herz.«
Sie legte die Hand auf die flache Brust. »Hand aufs Herz.«
»Sollen wir gleich losfahren?«
»Ich habe nichts dabei.«
»Ich kann dir was kaufen.«
»Wirklich?«
»Alles, was du brauchst. Wir können eine Liste machen, ja?«
»Was ist mit Mom und Jessie?«
»Darüber müssen wir reden.«
»Ich glaube, wir sollten sie nicht fragen.«
»Das glaube ich auch.«
»Sie würden es nie erlauben. Mom vielleicht, aber Jessie, niemals.«
»Ich bringe dich zurück, bevor alle richtig Angst bekommen. Eine Woche? Von Montag bis Sonntag? Du wärst nicht zwei Montage weg. Sechs Tage. Fünf Nächte.«
Das Mädchen verzog das Gesicht, als wollte sie sagen: Das ist doch verrückt. Als wollte sie sagen: Ja!
»Warst du schon mal eine ganze Woche von zu Hause weg?«
»Fünf Tage.«
»Bei einem Onkel?«
»Meiner Grandma.«
»In einem anderen Staat?«
»Michigan.«
»Detroit?«
»Holland.«
»Gut. Meinst du, es ist so, als würdest du zu deiner Grandma nach Holland fahren?«
»Ein bisschen. Aber eigentlich nicht.«
Er zog die Stirn hoch. »Was, wenn wir auf halbem Wege sind, und du willst umkehren?«
»Will ich bestimmt nicht.«
»Versprochen?«
»Versprochen.«
»Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, dass du weitermachen möchtest.«
»Uhh. Ich hab Angst.«
»Du sollst nur genau Bescheid wissen. Ich bin ein kluger Typ.«
»Wer sagt das!«
»Ich sage das. Das sage ich. Und du solltest dich daran gewöhnen.«
»Warum?«
»Weil ich«, sagte er, »das Geld habe.«
»Stimmt.«
* * *
Was klar wird – nichts von alledem war geplant. Es ist eine Art uneinsehbarer Landkarte, auf der immer nur eine helle kleine Stadt nach der anderen sichtbar wird. Im Grunde geht es darum, das, was sich hinter der Stirn
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