Mr. Shivers
durchstreiften die Gassen und Geschäfte. Am Rand der Stadt entlang der Abwassergräben und der Brücke und einem halben Dutzend vereinzelt stehender Bäume gab es eine Handvoll Elendsquartiere. Sie gingen an Zäunen vorbei, schauten in Höfe und entschieden sich, die Häuser zu durchsuchen.
»Sind Sie schon mal irgendwo eingebrochen?«, wollte Roosevelt wissen.
»Nein«, sagte Connelly.
Roosevelt kicherte. »Das ist ganz einfach. Macht sogar Spaß. Obwohl, wenn keiner da ist, wird es wohl keinen Spaß machen. Irgendwie verdirbt es das.«
Die Zwillinge wählten eine heruntergekommene Hütte ohne Tür, aber aus irgendeinem Grund wusste Connelly, dass das nichts für ihn sein würde. Der Narbenmann würde sich nicht für etwas so Armseliges und bereits Hoffnungsloses entscheiden. Er würde sich etwas Bequemes aussuchen. Etwas Heimeliges. Etwas Warmes. Es würde keinen Sinn machen, etwas zu schänden, das bereits so voller Verzweiflung war.
»Wo wollen Sie hin, Connelly?«, fragte Roosevelt, als er sich von den Zwillingen trennte, aber Connelly machte nur eine Geste mit der Hand, und Roosevelt verstummte.
Connelly fand ein Haus, das sich alle Mühe gab, nett auszusehen. Es war zwar schäbig und alt, aber der weiße Anstrich war neu und der Vorgarten sauber und ordentlich. Blumenbeete ganz vorn. Eine Türmatte. Ein Türklopfer und ein Briefkasten. Dies war mehr als nur ein Haus, dies war ein Heim.
Das würde der richtige Ort sein, das wusste Connelly. Sein Instinkt sprach zu ihm auf eine Weise, die keine Worte kannte.
»Bleibt hier draußen«, sagte er. »Bleibt hier und passt auf. Passt auf, ob er herauskommt. Tut er es, dann ruft nach mir.«
»Glauben Sie, er ist da drin?«
»Das werden wir herausfinden.«
Connelly musterte das Haus noch einmal im Dämmerlicht. Abgesehen vom Wind gab es keine Geräusche. Er stieß das Gartentor auf und ging den Weg entlang. Die Fenster waren tot. Die Tür einen Spalt geöffnet. Etwas war gekommen und hatte diesen toten Ort gestört, wie ein Tier, das die Blätter am Boden aufgewühlt hatte.
Er betrat die Veranda, achtete auf quietschende Bodendielen und versuchte, die Tür geräuschlos zu öffnen. Als die Angeln quietschten, zuckte er zusammen, dann beugte er sich vor, spuckte darauf und versuchte es noch einmal. Dieses Mal ertönte kaum ein Flüstern. Er blickte durch den Spalt, konnte aber nichts erkennen, dann zog er die Schuhe aus und schlich hinein.
Alles war dunkel und einengend. Vor ihm erstreckte sich ein Korridor, links führte eine Treppe nach oben. Bilder hingen von den Wänden und standen auf Regalen; ihre Glasoberfläche fing das Licht von der Straße ein und glänzte. Der Wind frischte auf, schlug gegen die Fenster und rüttelte an ihnen. Davon abgesehen ertönte kein Laut. Das Gefühl von Verlassenheit war überwältigend, und Connelly hatte den Eindruck, sich nicht in einem Heim zu befinden, sondern in einem Felsgemach tief unter der Erde, von dem aus in der Dunkelheit schmale Gänge abzweigten.
Er folgte dem Korridor und kam in eine Küche. Alle Schränke waren geschlossen. Geschirr stand auf der Arbeitsfläche. An der gegenüberliegenden Wand hing ein von einem Kind gemaltes Bild.
Auf dem Tisch stand ein Licht. Eine einzelne Kerze, deren Flamme unschuldig auf der Tischplatte tanzte. Direkt daneben lag ein Tischset mit einem Gedeck. Der Teller war hübsch, weiß mit Blumen am Rand. Vermutlich das schönste Geschirr im ganzen Haus. Aber genau in seiner Mitte war ein schlammig brauner Fleck, an den Rändern kupferfarben bis rot. Zu den Seiten des Tellers lagen Messer und Gabel, ebenfalls beschmutzt. Connelly hielt inne, dann streckte er die Hand aus, um den Fleck zu berühren. Er war noch immer feucht. Er hob die Finger an die Nase und roch. Es war ein dicker und metallischer Geruch, und er wusste ohne jeden Zweifel, dass es sich um Blut handelte.
Eine schwarze Fliege ließ sich auf der Gabel nieder. Sie zuckte und flog zum Teller, dann wieder zurück zur Gabel. Eine weitere Fliege gesellte sich zu ihr, dann kam noch eine; ihr näselndes Surren war durch den Wind beinahe nicht zu hören. Connelly sah sich um, dann fiel sein Blick auf das Wohnzimmer. Blaues Licht drang durch das Fenster, aber irgendetwas stimmte daran nicht. Das Licht oder der Raum selbst schienen beinahe lebendig zu sein. Alles bewegte sich und pulsierte, alles zitterte.
Dann hörte er ein leises, feuchtes Summen aus dem Wohnzimmer kommen. Er kniff die Augen zusammen und betrat den
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