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Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Simonson
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Kopf geschüttelt, während der Major zeterte und stammelnd Entschuldigungen vorbrachte. Irgendwann hatte der Spuk ein Ende gehabt, und mittlerweile schlichen sich dieselben Jungs abends um neun in den Laden, wenn ihren Müttern die Milch ausgegangen war. Selbst die stursten ortsansässigen Arbeiter waren es schließlich leid geworden, sechseinhalb Kilometer durch den Regen zu fahren, nur um ihren Lottoschein in einem »englischen« Laden abzugeben. Die Honoratioren, allen voran die Damen der diversen Gemeindekomitees, glichen die Ungezogenheit der niederen Chargen aus, indem sie Mr. und Mrs. Ali auf plakative Weise Respekt zollten. So manche Dame hatte der Major stolz von »unseren lieben pakistanischen Freunden vom Laden« sprechen hören, was Edgecombe St. Mary als einen idyllischen Hort multikultureller Verständigung ausweisen sollte.
    Nach Mr. Alis Tod hatten alle mit angemessener Bestürzung reagiert. Der Gemeinderat, in dem der Major Mitglied war, hatte über eine wie auch immer geartete Trauerfeier debattiert und, als die Sache fehlschlug (da sich weder die Gemeindekirche noch der Pub als geeignet erwiesen), einen ziemlich großen Kranz ins Bestattungsinstitut geschickt.
    »Schade, dass ich Ihre liebe Frau nie kennenlernen durfte«, sagte Mrs. Ali und reichte ihm eine Tasse.
    »Ja, etwa sechs Jahre ist ihr Tod jetzt her. Irgendwie merkwürdig – es erscheint mir wie eine Ewigkeit und gleichzeitig nur wie ein Augenblick.«
    »Es ist ein so tiefer Einschnitt im Leben«, sagte sie. Ihre knappe Ausdrucksweise, an der es so vielen seiner Dorfnachbarn mangelte, traf sein Ohr mit dem reinen Klang einer schön gestimmten Glocke. »Manchmal spüre ich meinen Mann so nah bei mir, wie Sie es gerade sind, und manchmal bin ich ganz allein im Universum.«
    »Aber Sie haben doch Familie?«
    »Ja, die habe ich.« Ihre Stimme bekam einen kühlen Unterton. »Aber das ist nicht dasselbe wie das unauflösliche Band zwischen Mann und Frau.«
    »Treffender kann man es nicht sagen.« Sie tranken ihren Tee, und der Major fand es verwunderlich, dass Mrs. Ali sich außerhalb ihres Ladens, in der ungewohnten Umgebung seines Wohnzimmers, als eine so geistreiche Frau entpuppte. »Also, der Hausmantel …«, begann er zögerlich.
    »Der Hausmantel?«
    »Das Ding, das ich vorhin anhatte.« Er nickte zu dem Korb mit den
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hinüber, in dem der Hausmantel inzwischen lag. »Den trug meine Frau immer so gern beim Putzen, und manchmal, na ja …«
    »Ich habe eine alte Tweedjacke von meinem Mann«, sagte sie leise. »Manchmal ziehe ich sie an und gehe damit im Garten herum. Und manchmal stecke ich mir seine Pfeife in den Mund, um den bitteren Tabakgeschmack zu schmecken.« Sie errötete ein wenig und senkte die dunkelbraunen Augen zu Boden, als hätte sie zu viel preisgegeben. Der Major bemerkte, wie glatt ihre Haut war, und musterte ihre markanten Gesichtszüge.
    »Ich habe auch noch einige Kleidungsstücke meiner Frau«, sagte er. »Und ich weiß nicht, ob sie jetzt, nach sechs Jahren, immer noch nach ihrem Parfum riechen oder ob ich es mir nur einbilde.« Er hätte ihr gern erzählt, dass er manchmal den Schrank öffnete und das Gesicht in den Bouclé-Kostümen und weichen Chiffonblusen vergrub. Mrs. Ali hob den Blick zu ihm, und hinter ihren schweren Lidern glaubte er zu erkennen, dass auch sie sich mit derlei absurden Dingen beschäftigte.
    »Noch etwas Tee?«, fragte sie und streckte ihm die Hand entgegen, um seine Tasse in Empfang zu nehmen.
     
    Nachdem Mrs. Ali gegangen war – nicht ohne sich dafür entschuldigt zu haben, dass sie sich selbst in sein Haus eingeladen hatte, während er noch einmal sein Bedauern über die Unannehmlichkeiten äußerte, die ihr durch seinen Schwächeanfall entstanden waren –, zog der Major den Hausmantel wieder an und ging in die kleine Spülküche hinter der Küche, um sein Gewehr zu Ende zu reinigen. Er verspürte einen leichten Druck im Kopf und ein Brennen im Rachen. So war er in Wirklichkeit, der dumpfe Schmerz der Trauer – mehr Verdauungsstörung als leidenschaftlicher Gefühlsausbruch.
    Er hatte etwas Mineralöl in einer kleinen Porzellantasse zum Erwärmen eine Weile auf dem Stövchen stehen lassen. Nun tauchte er die Finger in das heiße Öl und rieb es gemächlich in den gemaserten Nussbaumschaft ein. Nach einer Weile fühlte sich das Holz unter seinen Fingern wie Seide an. Die Arbeit entspannte ihn, sie linderte den Schmerz und schuf Platz für das zarte

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