Mrs Murphy 02: Ruhe in Fetzen
spitzenartigen Gebilden formte, und sie wünschte, sie hätte Schokoladentafeln erhitzt und beides vermischt. Sie bückte sich nach einer zierlichen Ranke festem Sirup. Es schmeckte köstlich. Sie goss Simon noch mehr hin und dachte, dass es klug von Jesus gewesen war, in einem Stall geboren zu werden.
54
»Wir brauchen eine Heugabel.« Harry stieß mit ihrem Besen gegen die Post auf dem Fußboden. »Ich kann mich nicht erinnern, dass wir letztes Jahr auch so viel verspätete Post hatten.«
»So schützt sich das Gehirn – es vergisst das Unangenehme.« Mrs Hogendobber trug ihre neuen Ohrringe, die ihr sehr gut standen. Das Radio knatterte; Miranda ging hin, stellte einen Sender ein und drehte die Lautstärke auf. »Haben Sie das gehört?«
»Nein.« Harry schob mit dem Besen die Versandhauskataloge über den Boden. Tucker jagte dem Besen nach.
»Morgen soll’s wieder Sturm geben. Meine Güte, drei Schneestürme innerhalb von – was? – zehn Tagen? So was kann ich mir nie merken. Oder vielleicht doch. Im Krieg hatten wir einen fürchterlichen Winter – 44, glaube ich, oder war es 45?« Sie seufzte. »Zu viele Erinnerungen. Ich brauche mehr Platz in meinem Hirn.«
Mim kam in Chinchilla gehüllt durch die Vordertür gefegt. Ein Windstoß wehte zu ihren Füßen Schnee herein. »Wie war’s?« Sie meinte Weihnachten.
»Wunderbar. Der Gottesdienst in der Kirche, also der Kinderchor hat sich selbst übertroffen.« Miranda strahlte.
Mim stampfte den Schnee von ihren Füßen und fragte Harry: »Und bei Ihnen, so ganz allein da draußen?«
»Schön. Weihnachten war schön. Meine besten Freundinnen haben mir Gutscheine für die Sattlerei Dominion geschenkt.«
»Oh.« Mims Augenbrauen schnellten in die Höhe. »Nette Freundinnen.«
Mrs Hogendobber legte den Kopf schief, sodass die Ohrringe das Licht reflektierten. »Wie findest du diese Prachtstücke? Hat Harry mir geschenkt.«
»Sehr hübsch.« Mim taxierte sie. »Jim hat mir eine Woche im Greenbrier-Ferienclub geschenkt. Ich denke, ich fahre im Februar, dem längsten Monat des Jahres«, scherzte sie. »Meine Tochter hat mir ein altes Foto von meiner Mutter gerahmt und mir ein Abonnement für das Virginia-Theater geschenkt. Von Jim habe ich einen Verbandskasten fürs Auto und ein Radarwarngerät bekommen.« Sie lächelte. »Ein Radarwarngerät, könnt ihr euch das vorstellen? Er hat gemeint, ich brauche das.« Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich. »Und dann hat mir jemand eine tote Ratte geschenkt.«
»Nein!« Mrs Hogendobber hörte auf, die Post zu sortieren.
»Doch. Ich hab das alles gründlich satt. Ich hab heute Nacht allein in Mutters früherem Nähzimmer gesessen, das jetzt mein Lesezimmer ist. Ich bin alles so oft durchgegangen, bis mir schwindlig war. Ein Mann wird ermordet. Wir kennen ihn nicht und wissen nichts von ihm, außer dass er ein Landstreicher war. Richtig?«
»Richtig.«
Mim fuhr fort: »Dann wird Benjamin Seifert erdrosselt und in Crozets ersten Tunnel geworfen. Ich habe sogar an den Schatz gedacht, der angeblich irgendwo in den Tunnels liegen soll, aber das ist wohl zu weit hergeholt.« Sie spielte auf die Legende an, wonach Claudius Crozet die Reichtümer, die er von dem Russen, der ihn gefangen nahm, erhalten hatte, in den Tunnels vergraben haben sollte. Der junge Ingenieur, Offizier im Heer Napoleons, war bei dem grauenhaften Rückzug aus Moskau in Gefangenschaft geraten und auf das Gut eines sagenhaft reichen Aristokraten verbracht worden. Der sympathische Ingenieur hatte sich überaus nützlich gemacht und zahlreiche Projekte für den Russen gebaut, und als die Gefangenen endlich befreit wurden, hatte der Russe Crozet mit Schmuckstücken, Gold und Rubinen beschenkt. Zumindest erzählte man es sich so.
Harry sagte: »Und jetzt ist Cabell …« Sie schnippte mit den Fingern, um sein Verschwinden anzudeuten.
Mim machte eine abwinkende Handbewegung. »Zwei Angehörige derselben Bank. Verdächtig. Oder aber naheliegend. Was weniger naheliegend ist: Warum bin ich eine Zielscheibe? Zuerst der« – sie verzog das Gesicht – »Rumpf im Bootshaus. Gefolgt von dem Kopf im Kürbis, als mein Mann Preisrichter war. Und dann die Ratte. Warum ich? Mir fällt einfach kein Grund ein, außer vielleicht kleinlicher Groll und Neid, aber deswegen wird niemand umgebracht.«
Harry wählte ihre Worte vorsichtig: »Hatte Ben oder Cabell Zugang zu Ihren Konten?«
»Oh nein, obwohl Cabell ein guter Freund ist. Kein Scheck geht ohne meine
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