Mrs Murphy 02: Ruhe in Fetzen
Walnussbaum saß eine riesige Schnee-Eule.
Harry flüsterte: »Sie kommen selten so weit nach Süden.«
»Mein Gott, ist die groß«, flüsterte er zurück.
»Eulen und Kletternattern sind die besten Freunde, die ein Farmer haben kann. Und Katzen. Sie töten das Ungeziefer.«
Lange rosa Schatten schwebten von den Bergen, als drehten sich die Röcke des Tages in einem letzten Tanz. Sogar mit Schneeschuhen konnte das Gehen beschwerlich sein. Beide atmeten schwer, als sie aus dem Wald traten. Am Waldrand blieb Harry stehen. Ihr Blut wurde so eisig wie die Temperatur. Sie zeigte es Blair: Schneeschuhspuren. Aber es waren nicht ihre.
»Jäger?«, meinte Blair.
»Niemand würde hier ohne Genehmigung jagen. Die MacGregors und meine Eltern waren da ganz rigoros. Wir hatten Angusrinder auf der Weide, und die MacGregors haben hornlose Herefords gezüchtet. Man kann nicht riskieren, dass irgendein Trottel einem das Vieh erschießt – und das kann durchaus passieren.«
»Vielleicht wollte jemand Spuren suchen, so wie wir.«
»Suchen wollte er allerdings was.« Sie füllte ihre Lungen mit der scharfen Luft. »Und zwar im hinteren Bereich Ihres Grundstücks.«
»Harry, was hat das zu bedeuten?«
»Ich glaube, wir sehen hier die Spuren des Mörders. Warum er noch mal hierher wollte, weiß ich nicht, aber er hat die Hände und Beine auf Ihrem Friedhof abgeladen. Vielleicht hat er was vergessen.«
»Im Schnee würde er es nicht finden.«
»Ich weiß. Das ist es ja, was mich so beunruhigt.« Sie kniete sich hin und untersuchte die Spuren. »Ein Mann, denke ich, oder eine dicke Frau.« Sie trat neben die Spur und hob dann ihren Schneeschuh hoch. »Sehen Sie, wie viel tiefer seine Spur ist als meine?«
Blair kniete sich ebenfalls nieder. »Ja. Wenn wir den Spuren folgen, können wir vielleicht feststellen, wo er hergekommen ist.«
»Es wird bald dunkel.« Sie zeigte auf die Wolken, die sich an den Berggipfeln zusammenballten. »Und da kommt der nächste Schneesturm.«
»Gibt es hier hinten irgendeine alte Straße?«
»Ja, einen alten Forstweg von 1937. Das war das letzte Mal, dass hier Holz geschlagen wurde. Der Weg ist überwuchert, aber der Mensch, mit dem wir’s zu tun haben, könnte ihn kennen. Er könnte mit einem Auto mit Allradantrieb von der Yellow Mountain Road heruntergefahren sein und es auf dem Forstweg versteckt haben. Weit würde er nicht kommen, aber weit genug, um den Wagen außer Sicht zu schaffen, denke ich.«
Wie ein blauer Finger kroch ein dunkler Schatten auf sie herab. Die Sonne sank. Das Wechselspiel von klarem Himmel und Wolken wich schwerem Gewölk.
Blair rieb sich die Nase, die langsam kalt wurde. »Was könnte jemand bloß hier hinten wollen?«
»Ich weiß nicht. Kommen Sie, kehren wir um.«
Bei gutem Wetter hätte der Rückweg zu Harrys Haus zwanzig Minuten gedauert, aber da sie durch den Schnee stapften, kamen sie erst nach einer Stunde im Dunkeln bei Harrys Hintereingang an. Ihre Augen tränten, ihre Nasen liefen, aber ihre Körper waren durch die Bewegung warm geblieben. Harry machte frischen Kakao und Käsetoast. Blair nahm das Abendessen dankbar an, dann ging er, um seine Kätzchen zu versorgen.
Sobald er fort war, rief Harry Cynthia Cooper an.
Cynthia und Harry kannten sich gut genug, um keine Zeit zu verschwenden. Die Polizistin kam gleich zur Sache. »Sie meinen, jemand hat es auf Blair abgesehen?«
»Warum sollte sonst jemand bei ihm herumschnüffeln?«
»Ich weiß es nicht, Harry, aber an diesen Morden ist überhaupt nichts plausibel, abgesehen davon, dass Ben Dreck am Stecken hatte. Nur was für Dreck, das wissen wir noch nicht. Ich denke aber, dass Cabell es weiß. Wir werden ihn finden. Ben ist viel reicher gestorben, als er gelebt hat. Darin war er sehr diszipliniert.«
»Worin?«
»Möglichst wenig Geld auszugeben.«
»Oh, daran habe ich nie gedacht«, erwiderte Harry. »Hören Sie, Coop, wäre es möglich, einen Mann in Blairs Scheune zu postieren? Jemanden bei ihm zu verstecken? Der Kerl, mit dem wir’s zu tun haben, hat nicht vor, durch Blairs Einfahrt zu poltern. Der kommt vom Berghang angestürmt.«
»Harry, können Sie sich einen Grund denken, irgendeinen Grund, weswegen jemand Blair Bainbridge ermorden will?«
»Nein.«
Ein lang gezogener Seufzer kam durchs Telefon. »Ich auch nicht. Und ich mag den Mann, aber wenn man jemanden mag, heißt das noch lange nicht, dass er nicht in krumme Touren verwickelt sein kann. Wir haben seine Eltern angerufen –
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