Mrs. Pollifax macht Urlaub
prächtiges Paar weißer, mit roten Sternen verzierter Cowboystiefel. Ihre schwarzen Locken waren kurz geschnitten, so daß sie ihr rundes Kindergesicht wie eine Kappe einrahmten. Glänzende dunkle Augen musterten das Gesicht eines jeden, der aus dem Fahrstuhl stieg, und als ihr Bruder sie auf Mrs. Pollifax und Mr. Farrell aufmerksam machte, lächelte sie erwartungsvoll, und ihre weißen Zähne blitzten vor der sonnenbraunen Haut. Mrs. Pollifax spürte, daß sie mit einer Schärfe gemustert wurde, die sie von einer Elfjährigen nicht erwartet hätte. Später erfuhr sie, daß Hanan Kamele mit genau der gleichen Schärfe und Sorgfalt begutachtete.
»Das ist Hanan«, erklärte Josef unnötigerweise.
»Wie geht es Ihnen, bitte?« grüßte Hanan ernst. Sie gab jedem
die Hand. Dann fragte sie plötzlich aufgeregt: »Haben Sie gewußt, daß in dem Laden hier auch Karten verkauft werden?« Sie hielt zwei hoch. »Ein Stadtplan von Amman und eine Karte von Jordanien - und der Wüste!«
»Gibt es in der Schule denn keine Karten?« fragte Farrell.
»Oh, doch, aber die darf man nicht mit nach Hause nehmen, diese gehören mir«, betonte sie und drückte sie begeistert an sich.
»Wo hast du bloß so ausgezeichnet Englisch gelernt?« staunte Farrell.
Hanan strahlte ihn an. »Mein Großvater hat es gelernt, als die Engländer hier waren - mit Pascha Glubb. Und meine Eltern sprechen es, Juseff aber am besten. Und letztes Jahr in der fünften Klasse haben wir es auch in der Schule angefangen.«
»Erstaunlich!« sagte Mrs. Pollifax. »Aber wir sollten jetzt in den Speisesaal gehen. Ich hoffe, du bist so hungrig wie ich.«
Im Speisesaal weiteten sich Hanans Augen, als sie an den langen Reihen von Büfetts mit silbernen Terrinen und exquisit angerichteten Platten vorbeigingen. »Hilweh!« murmelte sie. »So schön!«
Es wurde ein sehr interessantes Abendessen - und abwechslungsreich. Noch ehe der Kellner kam, um sich zu erkundigen, ob sie Mineralwasser wollten, hatte Hanan ihre Karten über die Tischdecke und das Besteck ausgebreitet und fast eine Vase mit Blumen umgestoßen. Farrell mußte ihr alles über Längen- und Breitengrade erklären, und Hanan war entzückt zu erfahren, daß Jordanien zwischen 29°11'-33°22' nördlicher Breite und 34°59'-39°18' östlicher Länge lag. Sie liebte Zahlen. Sie bestand darauf, genau festzustellen, wo ihr Großvater jetzt, im Monat tishretn alalwal Oktober-, seine Zelt aufgeschlagen hatte. Sie erzählte ihnen voll Stolz, daß sie ein eigenes Kamel besaß, das schneeweiß war.
»In Amman?« neckte Farrell sie.
»In Amman?« Sie musterte ihn abschätzend. »Mein Kamel ist bei meinem Großvater in der Wüste.« Sie wandte sich eifrig an Mrs. Pollifax: »Bitte, ich möchte, daß Sie mein Kamel sehen. Natürlich hätte ich gern ein Pferd, aber mein Großvater sagt, jetzt noch nicht.«
»Du trägst Cowboystiefel.«
Hanan nickte. »Mein Großvater hat sie für mich im Suk im Basar - machen lassen. Extra für mich«, betonte sie.
»Ja.« Mrs. Pollifax nickte. »Es ist sehr wichtig, nicht wahr, daß sie dir gehören.«
Farrell und Mrs. Pollifax mußten zu ihrer Schande gestehen, daß sie noch nie ein Rodeo besucht hatten, aber ihre neue kleine Freundin verzieh es ihnen großmütig. Sobald die Karten wieder zusammengelegt waren, gingen sie an die Büfettische, um sich aus dem üppigen Angebot etwas auszusuchen. Mrs. Pollifax, die als erste mit Josef an ihren Tisch zurückkehrte, fragte: »Was wird aus diesem intelligenten, freimütigen Kind werden, wenn es älter wird, Josef? Sie ist sehr ungewöhnlich. Ich hatte gedacht, daß in Ihrem Kulturkreis Mädchen beispielsweise nie allein mit einem Mann sein dürfen, doch...«
»Sie ist nicht allein, ich bin ihr Bruder«, entgegnete er. Er seufzte. »Sie ist als Nesthäkchen in unsere Familie gekommen ich, zum Beispiel, bin zwölf Jahre älter als sie -, und sie hatte dadurch viel mehr Beachtung und Freiheit. Aber ich glaube nicht, daß sie Lehrerin werden oder in einem Büro arbeiten wird. Ich denke, sie wird wahrscheinlich unseren Cousin Qasim heiraten. Er mag sie, und Hanan bewundert seine Pferde. Er ist sechzehn und wird vermutlich bald zur Badiya, der Wüstenpatrouille, gehen. Denn genau wie Hanan sagt er, daß er in der Stadt keine Luft bekommt und er die Weite der Wüste und des Himmels braucht.«
»Ich würde die Wüste gern sehen«, vertraute Mrs. Pollifax ihm an. »Ist sie nur Sand und Dünen?«
Josef lachte. »Stellenweise ja, aber tief in der
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