Mrs. Pollifax macht Urlaub
tauschten Blicke. Er blinzelte ihr verstohlen zu und setzte ebenfalls einen sehr ernsten Ausdruck auf. »Was heißt das, daß die Stadt Petra ›verschollen‹ war?« erkundigte er sich.
»Hunderte von Jahren wußte niemand, daß sie da war. Niemand erinnerte sich. Vor langer, langer Zeit war sie eine sehr wichtige Station für die Karawanen auf ihrem Weg nach Damaskus und Aleppo. Auch eine der Seidenstraßen hatte hindurchgeführt. Sie werden gleich sehen, weshalb die Stadt so lange Zeit wie vom Erdboden verschwunden war. Sie liegt in der schwer zugänglichen Schlucht des oberen Wadi Musa, von Bergen eingeschlossen, und hat bloß einen Zugang, außer man klettert die Felsen hinunter. Lediglich die Beduinen wußten von ihr und schlugen dort all die Jahre ihre Zelte auf, bis schließlich der Schweizer Forscher Johann Ludwig Burckhardt sie 1812 wiederentdeckte.«
»Gibt es auch jetzt nur einen Zugang?« fragte Mrs. Pollifax.
»O ja. Er führt durch den Siq, ein über eineinhalb Kilometer langer, sehr schmaler Gang, der sich durch die Felsen windet und an vielen Stellen von den Überhängen zu beiden Seiten verborgen ist.«
»Wenn das kein Abenteuer wird, Herzogin!« Farrell grinste. »Einmal gab es eine Sturzflut im Siq«, erzählte Josef ernst,
»und viele Leute ertranken. Er ist so eng, wissen Sie, und das Wasser schoß von den hohen Felsen hinunter - sehr tragisch -, aber jetzt wird das Wasser abgeleitet, und so etwas kann nicht mehr passieren.«
»Sehr beruhigend«, entgegnete Mrs. Pollifax trocken. Sie beobachtete einen Schwarm Vögel, die sich vom Wind tragen ließen. Cyrus würde wissen, was das für welche sind, dachte sie. Und dann flogen sie südwärts und waren bald nicht mehr zu sehen.
Am Vormittag brachte Josef Scheiben des flachen, runden Brotes das die Jordanier Chubs nennen, und einen Krug mit dem dickflüssigen Joghurt, der ihr so schmeckte. Er strich Joghurt auf eine dünne Brotscheibe, die er dann zusammenrollte, ehe er sie Mrs. Pollifax anbot. Danach rollte er eine für Farrell und eine für sich. Mrs. Pollifax trug ihren Imbiß zur Brüstung und blickte nach unten. Inzwischen waren drei Reisebusse angekommen, und bald würden Gruppen von Touristen auf ihre Galerie hinauswandern. Wenn es wieder so zuging wie gestern, würden sie drei neugierig beäugt werden, während die Touristen mit einem Ohr zuhörten, was ihre Fremdenführer auf arabisch, deutsch oder englisch erklärten. Den Höflicheren würde es sichtlich peinlich sein, daß sie ihre Ruhe störten, während ein paar andere versuchen würden, einen Blick auf Farrells Skizzen zu erhaschen, und das Ganze würde recht lästig sein. Bedauerlicherweise kam nur ein einziger Personenwagen an, eine rostrote Limousine. Mrs. Pollifax und Farrell beobachteten sie zwar hoffnungsvoll, aber die beiden Männer, die darin saßen, stiegen nicht aus und fuhren nach einiger Zeit wieder weg.
Um Viertel nach zwölf waren sie überzeugt, daß Ibrahim auch an diesem Vormittag nicht kommen würde. Mrs. Pollifax entging Farrells grimmige Miene nicht. Als sie die dunklen Stufen hinunterstiegen, war er bedrückend still und runzelte die Stirn. Schweigend fuhren sie durch die Stadt Karak, doch als sie den Desert Highway erreichten, fiel Mrs. Pollifax eine rostrote Limousine auf, die aus einer staubigen Seitenstraße kam und hinter ihnen herfuhr. Der gleiche Wagen, wie ihr bewußt wurde, der in der Festung geparkt hatte und dann weggefahren war, und dieselben dunklen Umrisse der beiden Männer auf den Vordersitzen. Mit einem Funken Hoffnung fragte sie sich, ob vielleicht einer davon Ibrahim war, der Farrell ja nicht kannte und nicht damit gerechnet hatte, ihn in Begleitung eines Fremdenführers und einer Frau anzutreffen. Doch keiner der beiden Insassen hatte die Burg betreten, erinnerte sie sich, wie hätten sie Farrell da sehen oder wissen können, daß er zwei Personen bei sich hatte? Sie sah zu Josef und bemerkte, daß er den Rückspiegel im Auge behielt. Ihre Blicke begegneten sich, und sie erkannte, daß auch ihm der Wagen aufgefallen war, der auf ihrem Weg nach Petra hartnäckig hinter ihnen blieb.
Sie sah sich nicht um und machte auch Farrell nicht darauf aufmerksam, aber Josefs häufige interessierte Blicke in den Spiegel entgingen ihr nicht. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit statt dessen der Landschaft zu, mit fruchtbaren Äckern satter brauner Erde, vielen Gewächshäusern und zahlreichen Reklameschildern entlang der Straße, die Werbung machten für
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