Mrs. Pollifax macht Urlaub
dieser Mann sich unterhielten. Hat er Ihnen zufällig seinen Namen genannt?«
»O ja, und bedauerlicherweise ich ihm auch meinen. Er hat sich mir als Mr. Nayef vorgestellt.«
»Nayef«, wiederholte Inspektor Jafer. Er holte ein Notizbuch zum Vorschein und schrieb den Namen auf. »Und wie kam es, daß Sie diesen Schlüssel, wie Sie beschrieben, in einem Sperrholzsockel fanden?« Glücklicherweise wurden sie durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen; Farrell spazierte herein und war überrascht, Mrs. Pollifax nicht allein vorzufinden.
Sie sagte sofort: »Farrell, dieser Herr ist von der Kriminalpolizei... Einer der Fremdenführer sagte aus, daß er uns schon gestern und nicht nur heute in der Festung gesehen hat, was Inspektor Jafer merkwürdig fand. Ich habe ihm erklärt«, betonte sie und sah Farrell direkt in die Augen, »daß wir dort Zuflucht suchten, weil wir es müde waren, ständig von diesem roten Wagen verfolgt zu werden, und daß wir glauben, die Durchsuchung meines Zimmers sowie dieser Wagen hängen mit Mr. Nayef zusammen.« Sie zeigte auf ihren Besucher. »Ich habe ihm den Schlüssel gegeben.«
»Gott sei Dank!« rief Farrell mit solcher Inbrunst, daß der Inspektor ihn erstaunt anstarrte.
»Sind Sie verwandt?« erkundigte er sich sichtlich verwirrt.
»Cousin und Cousine«, erwiderte Mrs. Pollifax. »Wir verreisen oft gemeinsam. Mr. Farrell ist Kunstmaler, er besitzt eine Galerie in Mexico City, und er interessiert sich sehr für die hiesigen Ruinen. Er hat Zeichnungen von der Burg Karak gemacht und wird wahrscheinlich morgen noch einmal dorthin gehen, um sie fertigzustellen. Er hat vor, einen illustrierten Artikel über Ihr Land zu schreiben.«
Farrell war froh über ihre Phantasie, aber er ahnte, wohin das führen würde, und unterbrach daher ihren Redefluß. »Ich hole die Schnitzerei«, sagte er. »Sie ist in meinem Zimmer.«
»Ich komme mit.« Inspektor Jafers Ton duldete keinen Widerspruch. »Es interessiert mich sehr, wie Sie einen so gut versteckten Schlüssel finden konnten.«
Mrs. Pollifax lächelte Farrell an. Sie war der Ansicht, daß sie ihren Teil getan hatte. »Das erklärst am besten du ihm, teurer Vetter.«
Mrs. Pollifax schloß die Tür hinter ihnen ab, und nach einem Blick auf ihre Uhr legte sie ihren Schlafanzug aufs Bett und ging ins Bad. Sie hielt es für den passenden Augenblick, sich die Zähne zu putzen, da in ihren Erklärungen ausgerechnet eine Zahnbürste eine so zentrale Rolle gespielt hatte. Aber Mr. Nayef beschäftigte sie jetzt nicht mehr; sie war erleichtert, daß sie seinen Schlüssel auf so praktische Weise losgeworden war. Außerdem war es ihr gelungen, den Inspektor von näheren Fragen über ihren wiederholten Vormittagsbesuch in der Festung Karak abzubringen. Sie freute sich darüber, die Sache so geschickt gemeistert zu haben.
Ihre Gedanken wanderten zu dem Toten, den sie in der dunklen Kammer entdeckt hatte, und zu dem Mann, der an ihr vorbeigestürmt und verschwunden war. Sein Verschwinden war ihr nach wie vor ein Rätsel. Sie fragte sich, ob er sich wohl noch einmal in die Festung wagen würde und ob er vielleicht Ibrahim gewesen war. Wie, dachte sie verärgert, hat er es fertiggebracht? Er war in solcher Hast an ihr vorbeigerannt, daß sie kaum etwas von ihm gesehen hatte, und doch sah sie sogar jetzt noch seine vor Entsetzen verzerrten Züge vor sich. Wie Munchs Bild Der Schrei, dachte sie, und von diesem kleinen Detail abgesehen, hatte nur noch das Blut an seinem Gewand einen klaren Eindruck hinterlassen. Gewand - an seinem Gewand... Wieso drängte sich ihr das auf? Es machte ihr zu schaffen, warum? Sie legte die Zahnbürste zur Seite und grübelte darüber nach. Sie fragte sich, weshalb das Wort »Gewand« ihren Argwohn weckte. Verärgert dachte sie: Mein Unterbewußtsein sendet wieder einmal Botschaften. Abrupt erkannte sie, was ihr da unter die Nase gehalten wurde. Etwas war übersehen worden, kaum zu glauben, und doch...
Sie verließ ihr Zimmer und klopfte an Farrells Tür. »Ich bin's, Farrell«, rief sie.
Er öffnete mit einer Landkarte in der Hand. Gut sah er aus in seinem roten Seidenpyjama. »Was ist los? Ich habe dem Inspektor die Schnitzerei gegeben.«
»Deswegen bin ich nicht hier. Farrell, sagen Sie mir bitte ganz genau, was Sie gesehen haben, als Sie mit diesem Fremdenführer zu seinem Bus gegangen sind. Sie haben sich umgeschaut, das konnte ich sehen.« Offenbar hielt er sie nicht für völlig verrückt. Er schloß die Augen, um sich besser
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