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Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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heftiger Kraftanstrengung, den Faden aufzuwickeln und die Limousine wieder zu mir heranzuziehen. Leute saßen nun nicht mehr darin, aber trotzdem raste das schwere Auto nach ein paar Minuten wieder davon, und das Spiel begann von vorn. Dazwischen, in den wachen Augenblicken, dachte ich daran, wie wir auf dem Feld Drachen hatten steigen lassen, wie sie, vom Herbstwind emporgetragen, Meter um Meter Drachenschnur in den Himmel spulten, bis ein Fallwind unsere Werke aus Latten und Seidenpapier jäh herunterdrückte, wie sie nach rasendem Sturzflug mit einem unangenehmen Laut aufschlugen und zertrümmert dalagen.
    Die Bilder verwischten sich, übrig blieb die Schnur, undimmer wieder der schwere Pullman, den ich zurückzerren musste. Nach einigen Stunden hörte ich Minnamartha nebenan deutlich sagen:
    »Suppe.«
    Ede räusperte sich. »Wie bitte?«
    »Suppe. Sup-pe!« Minnamartha wiederholte das Wort laut und deutlich.
    Ede: »Meinst du, du willst Suppe essen? Jetzt?«
    Minnamartha: »Suppe. Ich möchte Suppe.«
    Großmutter kam herbei. »Suppe«, hörte ich auch sie fragen. Minnamartha wiederholte: »Suppe!«
    Ich stand auf, wankte schlaftrunken hinüber. »Ich will auch Suppe«, sagte ich.
    Großmutter und Ede lachten, dann begann auch Minnamartha zu lachen, ein wenig heiser, aber sie lachte. Und weil Minnamartha lachte, lachten alle anderen auch, immer weiter, eine Lachorgie wurde es, ansteckend, schließlich lachte ich auch, lachten wir alle, Minnamartha hatte einen hochroten Kopf, die Tränen liefen ihr die Wangen hinab, das Bett wackelte. Alle lachten. Lachten.
    So hatten wir noch nie gelacht.
    »Hühnersuppe?«, fragte schließlich Großmutter.
    Minnamartha winkte ab, entkräftet vom Lachen. »Nicht Hühnersuppe. Oder willst du jetzt ein Huhn schlachten?«
    Großmutter zuckte mit den Mundwinkeln. »Warum nicht?«
    Es war aber noch Rindsbouillon da, sie wurde aufgewärmt. Auch Ede und Großmutter entschlossen sich, ein Schälchen mitzuessen, und bald saßen wir im Schlafzimmer, es war lange nach Mitternacht, und schlürften heiße Suppe.
    Minnamartha fragte Großmutter: »Hast du mir wirklich Petroleum zum Gurgeln gegeben?«
    »Jewiss. Als wir in Dubberow lebten, war der nächste Arzt vier Stunden weg. Mit Fuhrwerk vier Stunden! Da muss man sich anders helfen.«
    Minnamartha schüttelte den Kopf. »Sag das bloß nicht Doktor Erdemann!«
    Der Doktor kam am nächsten Tag, sondierte mit Stethoskop und Spatel, war erstaunt. »So plötzlich«, sagte er. »Das Aufbrechen des Abszesses. So was habe ich noch nie erlebt.«
    »Wie ist das denn sonst verlaufen?«, fragte Minnamartha.
    »Hartnäckig. Sehr hartnäckig«, sagte Dr. Erdemann. Dann empfahl er sich. Großmutter stand unten am Fenster und schaute zu, wie Dr. Erdemann in seinen Opel stieg.
    Butter war schon lange rationiert. Die Kartenstelle war vier Kilometer entfernt. Jetzt gab es richtige Lebensmittelkarten. Auch Zucker, Fleisch und Nährmittel wurden rationiert. Großmutter zog ein paar neue schwarze Strickstrümpfe an. »Nu will ich das Zeug mal holen«, sagte sie. Den Vormittag über war sie unterwegs. Dann war unsere Ernährung für einen Monat amtlich gesichert. Minnamartha und Großmutter saßen am Küchentisch und rechneten zusammen, was wir bekamen. »Ein nasser Furz auf die Herdplatte ist das«, sagte Großmutter. »Wir müssen uns was ausdenken.«
    Während sie sich was ausdachten, schnallte ich das Koppel um, denn zum zweiten Mal sollte ich den Führer sehen. Das Fähnlein trat Ost-West-Achse an, vor uns sperrten SS-Männer ab, und als wir fast zwei Stunden gestanden hatten, rollten blitzschnell ein paar schwarze Mercedes-Wagen vorbei. Im ersten stand ein Mann mit erhobenem Arm, wahrscheinlich der Führer, hinter den SS-Männern nichtgenau zu erkennen. Fünf Minuten später ließ Kulle Rosenbusch uns wegtreten.
    Ede fragte, wo ich mich den Tag über rumgedrückt hätte. Ich erzählte es ihm. »So ein Blödsinn«, murmelte Ede. »Ein ausgemachter Blödsinn.« Ich dachte, lass mich aus, Alter, zog Zivilkluft an und ging zu Othmar.
    »Mein roter Bruder möge mir folgen«, sagte der, »und seine Silberbüchse mitnehmen, damit sie neben meinem Bärentöter und dem Henrystutzen zu den Coyoten spreche, die sich Kommantschen nennen.«
    Karl May, der Siebzig-Bände-Spinner aus Radebeul bei Dresden, hatte es uns angetan. Wir liehen uns die grünen Schwarten aus und ließen sie uns zu Weihnachten und zum Geburtstag schenken. Auf dem Zimmereiplatz suchten wir

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